Mehr Geld für Kinder als die Düsseldorfer Tabelle vorsieht?

Das Wichtigste in Kürze

  1. Auf der zweiten Stufe des Prüfungsschemas zum Kindesunterhalt erfolgt die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs.
  2. Zuallererst sollte geklärt werden, nach welcher Methode der Bedarf ermittelt wird.
  3. Wenn die Ermittlung des Bedarfs gemäß der Düsseldorfer Tabelle erfolgt, ist es wichtig zu beachten, dass diese nur den Bedarf für den Regelfall abdeckt.
  4. Es kann jedoch vorkommen, dass der gesamte Lebensbedarf des Kindes (§ 1610 Abs. 2 BGB) höher ist, als die in der Düsseldorfer Tabelle festgelegten Sätze. Man spricht von Mehr- oder Sonderbedarf des Kindes, der zusätzlich zum Regelbedarf zu leisten ist.

  • Rechtlicher Leitfaden
    zur Ermittlung und Geltendmachung von Mehr- und Sonderbedarf

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Weichenstellung
Wie unterscheidet man Mehrbedarf vom
Regelbedarf lt. Düsseldorfer Tabelle?

Bedarf des Kindes
Regelbedarfspositionen der Düsseldorfer Tabelle
Mehrbedarfspositionen außerhalb der Düsseldorfer Tabelle


Die Düsseldorfer Tabelle (DT) ist ein Hilfsmittel, mit dem der regelmäßige Bedarf eines Kindes in Durchschnittsfällen ermittelt wird. Die Kalkulationsgrundlage der Tabellenwerte der Düsseldorfer Tabelle besteht also aus sog. Regelbedarfspositionen, die sich aus dem Bedarfsermittlungsgesetz ableiten lassen. Regelbedarf ist der Bedarf lt. Düsseldorfer Tabelle, der auf den einkalkulierten Regelbedarfspositionen basiert.

Doch deckt der Regelbedarf nicht in jedem Einzelfall alle Bedarfspositionen ab, die zum individuellen Lebensbedarf des Kindes (§ 1610 Abs.2 BGB) gehören. So kommt es in der Praxis häufig vor, dass die Ergebnisse der Düsseldorfer Tabelle um weitere Bedarfspositionen zu ergänzen sind. Diese weiteren Bedarfspositionen werden begrifflich als sog. „Mehrbedarf“ & „Sonderbedarf“ erfasst. Wer das Thema „Mehrbedarf & Sonderbedarf“ verstehen will, muss also wissen, welche Bedarfspositionen in der Kalkulationsgrundlage der (DT) enthalten sind und welche nicht. Alle Bedarfspositionen, die nicht in den Regelbedarfssätzen der Düsseldorfer Tabelle einkalkuliert sind, können Mehrbedarf sein.


Rechtsprechung
Was ist Mehrbedarf? 


BGH, Urteil vom 26.11.2008 - XII ZR 65/07
Mehrbedarfsposition: Kindergarten


(Zitat, Rn 25) „Auch den Mindestunterhalt übersteigende Unterhaltsbeträge decken grundsätzlich keinen wesensverschiedenen Aufwand ab, sondern zielen aufgrund der abgeleiteten Lebensstellung des Kindes auf eine Bedarfsdeckung auf höherem Niveau. Danach ist die Annahme aber nicht gerechtfertigt, in höheren Unterhaltsbeträgen seien Kosten für den Besuch eines Kindergartens teilweise enthalten (vgl. Wendl/Klinkhammer aaO § 2 Rdn 275; a.A. OLG Frankfurt NJW-RR 2006, 1303; Reinken FPR 2008, 90, 92; Scholz FamRZ 2006, 737, 740 und Maurer FamRZ 2006, 663, 669).“

Anmerkung: Der BGH erklärt die Abgrenzung des Regelbedarfs vom Mehrbedarf & Sonderbedarf anhand der Bedarfsposition Kindergarten. Kindergartenkosten sind eine besondere Bedarfsposition, die nicht im Tabellenbedarf nach Düsseldorfer Tabelle enthalten ist.  Kindergartenkosten (abzgl. Verpflegungskostenanteil) sind somit Mehrbedarf.

Insbesondere bei gehobener Lebensstellung der Eltern öffnet sich der Rahmen für solche Bedarfspositionen (z. B. Reitunterricht; Klavierunterricht etc.). Mit Steigerung des wirtschaftlichen Lebensstandards des barunterhaltspflichtigen Elternteils öffnet sich immer mehr Raum für zusätzliche (Mehr-)Bedarfspositionen des Kindes. Es kann auch ein sog. Mischfall vorliegen.


Mehrbedarf
Was ist das?

Begriff
„Mehrbedarf“


Der Begriff „Mehrbedarf“ ist gesetzlich nicht definiert. Jedoch erschließt er sich aus dem Zusammenspiel mit der Düsseldorfer Tabelle (DT). Die darin ausgewiesenen Bedarfssätze basieren auf der Kalkulation, was Kinder in der Regel an Geld benötigen. Damit gibt die DT den Regelbedarf an. Jede Bedarfsposition, die nicht im Regelbedarf nach DT einkalkuliert ist, ist Mehrbedarf, soweit er nicht der Kategorie eines „Sonderbedarfs“ (§ 1613 Abs.2 Ziff.1 BGB) entspricht.  Als Mehrbedarf ist derjenige Teil des Lebensbedarfs des Kindes anzusehen, der regelmäßig während eines längeren Zeitraums anfällt und das Übliche derart übersteigt, dass er als Bedarfsposition im > Regelbedarf nach Düsseldorfer Tabelle nicht enthalten ist (Klein, in: Kleffmann/Klein, Unterhaltsrecht, 2011, § 1610 BGB Rn 17 mwN).
 

Kriterien & Prüfungsschritte


Hier können nur die Kriterien genannt werden, die für eine überzeugende Argumentation eingesetzt werden können, wenn man zusätzlich zum Regelbedarf nach DT einen Mehrbedarf für das Kind verlangen möchte. Dabei ist nach folgenden Schritten vorzugehen:

  1. Im ersten Schritt ist der Primärzweck der Kosten festzustellen: „Dient der Kostenaufwand dem Interesse des Kindes?“.
  2. Im zweiten Schritt wird festgestellt, ob der Aufwandsposten in der Kalkulationsgrundlage zur DT enthalten ist.

  3. Ist das nicht der Fall, sind im dritten Schritt Gründe zu benennen, die dafür sprechen, dass die Aufwendungen zum gesamten Lebensbedarf des Kindes zählen.

  4. Im vierten Schritt ist festzustellen, ob die Bedarfsposition über einen längeren Zeitraum besteht und vorhersehbar ist. Damit wird der Mehrbedarf vom sog. Sonderbedarf abgegrenzt (Unterschied zwischen Sonder- und Mehrbedarf).

Beispiele


Hier finden Sie den Zugang zur Rechtsprechung, die sich mit praxisrelevanten Fällen zum Mehrbedarf. Die Beispiele bilden keinen abschließenden Katalog möglicher Mehrbedarfspositionen, vielmehr wurde eine praxisrelevante Auswahl getroffen. Wann ein Mehrbedarf in Betracht kommt, lässt sich mit den dargestellten Kriterien & Prüfungsschritten begründen:

Wenn es um  Kinderbetreuungskosten geht, ist für die erste Weichenstellung danach zu fragen, ob dieser Aufwand tatsächlich dem Kind dient (dann = Bedarf des Kindes) oder vielmehr den Eltern (dann = berufsbedingter Aufwand). 

Kosten
für auswärtigen Unterbringung


Kinderkrippe | Kindergarten| Kinderhort
Kosten für Kinderkrippe & Kinderhort

Internat
Kosten des Internats

Privatschule
Kosten der Privatschule


Heimunterbringung
Kosten des Heimaufenthalts

Kosten
für sonstige Mehrbedarfspositionen



Private Krankenversicherung
und der Anspruch auf Wechsel in die beitragsfreie gesetzliche Familienmitversicherung




Loewe
OLG Naumburg, Beschluss vom 22.09.2011 – 8 UF 118/11
Schulgeld – Schulhort: mehr dazu > hier

OLG Düsseldorf, Urteil vom 8. 7. 2005 - 3 UF 21/05)
Nachhilfeunterricht


BGH, Urteil vom 15.2.2006 - XII ZR 4/04
Konfirmation


OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.05.2012 - II-3 UF 97/12
Studiengebühren & Semesterbeitrag



OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 09.05.2019 - 5 UF 141/17
Mehrbedarf bei Zahnmedizinstudium in München  


Mehrbedarf

ermitteln

  • Mehrbedarf oder Sonderbedarf wird nicht aufgrund des Einkommens der Eltern berechnet. Stattdessen basieren die Berechnungen auf den tatsächlich anfallenden Kosten im konkreten Einzelfall. Im Streitfall wird geprüft, ob diese Kosten tatsächlich zum gesamten Lebensbedarf des Kindes (§ 1610 Abs.2 BGB) gehören, d. h. ob sie angemessen und nachweisbar sind. 


OLG Brandenburg, Beschluss vom 24.11.2011 - 9 UF 70/11
Darlegung und Beweis des konkreten Bedarfs beim Kindesunterhalt


Anmerkung: Ein Mehr- und Sonderbedarf ist stets konkret darzulegen und zu belegenDer Unterhaltsberechtigte genügt seiner Darlegungslast, wenn er seine Bedürfnisse im Detail angibt und daraus den gesamten Unterhalt ableitet. Um die Anforderungen an die Beweislast nicht zu überspannen, kann auf Grundlage einer ausreichend exemplarischen Darstellung der Bedarfspositionen (das ist hier geschehen) das Gericht den konkreten Bedarf unter Zuhilfenahme allgemeinen Erfahrungswissens nach Maßgabe des § 287 ZPO nach objektiven Kriterien schätzen.

Schätzungen sind nur unter dem Vorbehalt zuzulassen, dass eine konkrete Belegung unzumutbar erscheint (konkreten Bedarf beweisen). Eine Schätzung gemäß § 287 ZPO kommt dabei umso eher in Betracht, als die Bedarfsposition als notwendig anzusehen ist. Zur Schätzung einzelner Bedarfspositionen vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 21.03.2016 - 4 UF 14/14, Rn 66; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.03.2016; OLG Brandenburg, Beschluss vom 24.11.2011 - 9 UF 70/11 ; BGH, Urteil vom 9. Juni 2004 - XII ZR 277/02 ; BGH, Urteil vom 11. April 2001 - XII ZR 152/99 - abgedruckt u. a. in FamRZ 2001, 1603); weitere Anmerkungen zu Entscheidung des OLG Düsseldorf –  1 UF 12/16 von Regina Bömelburg, Vors. Richterin am OLG Köln, in: FF 2018, 124.


Wie konkreter Mehrbedarf dargestellt werden kann, zeigt die Tabelle:

TABELLE
zum Ermitteln von Mehrbedarfspositionen

Kostenbetrag/Monat
(Jahresbetrag x 1/12)

Beleg –Nr.

Auslandsaufenthalt zu Ausbildungszwecken

(OLG Schleswig NJW 2006, 1601)

Studiengebühren

(SüdL Nr. 13.1.2)

Unterhalt für ein Pferd

(OLG Karlsruhe FamRZ 2005, 233)

Unterricht- & Nachhilfekosten

(OLG Düsseldorf FamRZ 2006, 223)

Behinderungsbedingter Heimaufenthalt

(OLG Hamm FamRZ 1996, 1218)

Kindergarten ohne Anteil der Verpflegungskosten

(BGH NJW 2009, 962)

Hortkosten, wenn dafür Interessen des Kindes im Vordergrund stehen. Andernfalls sind es berufsbedingte Aufwendungen erwerbstätiger Eltern.

Tagesmutter, Au-pairs

(zu behandeln wie Hortkosten)

Klassenfahrten

(BGH, NJW 2006, 1509)

Kommunion/Konfirmation/Jugendweihe

(BGH, NJW 2006, 1509;

Krankheitskosten,

die von der gesetzlichen KV nicht gedeckt werden

Psychotherapeutische Behandlung

(OLG Düsseldorf FamRZ 2001, 444)

Privatschule und Internat

(OLG Karlsruhe, OLG Report 1998, 350)


Mischfälle

Die "10-Euro-Regel"


Die steigenden > Tabellen-Sätze der DT bringen den steigenden Bedarf des Kindes mit steigendem Lebensstandard der Eltern zum Ausdruck. Je nachdem, welche > Einkommensgruppe der DT maßgebend ist, können im > Regelbedarf bereits Mittel zur Finanzierung von Mehr- und Sonderbedarf berücksichtigt sein. Der > Regelunterhalt nach DT lässt es jedenfalls in der dritten Altersstufe ab der 2. Einkommensgruppe zu, dass für jede weitere Einkommensgruppe 10 EUR für Zusatzbedarf angespart werden können ( Klinkhammmer, in: Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 8. Aufl. 2011, § 2 Rn 462 unter Hinweis auf OLG Düsseldorf NJW-RR 2005, 1529 m.w.N. zur Rechtslage bis 2007).

Beispiel
zum Mischfall – erhöhter Regelbedarf



Sachverhalt


Vater zahlt an das Kind monatlich laufenden Unterhalt nach der 4. Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle und bezahlt daneben die Kosten für Klavier- und Reitunterricht in Höhe von 305,- €. Die Mutter verlangt nun einen Barunterhalt vom Vater nach der 10. Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle. Der Vater wendet dagegen ein, dass hierbei die Zahlungen für Klavier- und Reitunterricht anzurechnen sind, da dieser Aufwand ebenfalls den Bedarf des Kindes deckt. Ziel: Vater will nicht zu Händen der Mutter den vollen Barunterhalt bezahlen, sondern Teile davon direkt finanzieren und damit nur einen Teil des Barunterhalts für das Kind an die Mutter leisten.

Lösung


Die erste Frage, die zu beantworten ist: ist Klavier- und Reitunterricht Bestandteil des Bedarfs nach § 1610 Abs.2 BGB? Wenn ja, dann ist weiter zu fragen: sind die Kosten für den Klavier- und Reitunterricht ein Bestandteil des > Grundbedarfs, den die Düsseldorfer Tabelle berücksichtigt? Ist dies der Fall, dann leistet der Vater einen Teil des Barunterhalts nach der Düsseldorfer Tabelle durch Übernahme der Kosten für Klavier- und Reitunterricht. Ist das nicht der Fall, dann sind die Aufwendungen für Klavier- und Reitunterricht allenfalls Mehrbedarf, der von den Eltern anteilig zu finanzieren ist.

Rechtsprechung


OLG Hamm, Urteil vom 11.07.2012 - II-12 UF 319/11
Mischfall: Klavier- und Reitunterricht


Das OLG Hamm stellt sich zunächst die Frage, ob in der 10. Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle Aufwendungen für Reit- und Klavierunterricht einkalkuliert sind. Das OLG ordnet dabei Klavier- und Reitunterricht der Bedarfsposition Freizeit, Unterhaltung, Kultur zu (vgl. § > 6 RBEG), die von der Düsseldorfer Tabelle erfasst ist. Das OLG kommt dabei zum Ergebnis, dass nach § 6 RBEG für die Altersstufe des betroffenen Kindes ein Betrag von 93,83 € pro Monat kalkuliert ist. Nachdem diese Bedarfsposition aber nicht allein mit Klavier- und Reitunterricht gedeckt werden kann, sondern beispielsweise noch Luft für andere Freizeitaktivitäten bleiben muss (z.B. Kinobesuch etc.) schätzt das OLG, dass mit dem Klavier- und Reitunterricht die Bedarfsposition "Freizeit, Unterhaltung, Kultur" (Abteilung 9 nach § 6 RBEG ) mit 60,- € berücksichtigt werden kann. Konsequenz: Von den Kosten für Reit- und Klavierunterricht deckt der Vater 60,- € des Elementarunterhalts ab. Die restlichen 245,- € sind Aufwendungen zur Deckung eines Mehrbedarfs des Kindes.

BGH, Beschluss vom 20.9.2023 – XII ZB 177/22 (OLG München) - NZFam 2024, 112
Elementar- und Mehrbedarf des Kindes bei überdurchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen des Barunterhaltspflichtigen - Unterhalt oberhalb der 15. Einkommensgruppe


(Zitat) "Ob und in welcher Höhe ein vom Unterhaltsberechtigten geltend gemachter erhöhter Regelbedarf oder ein Mehrbedarf angemessen ist, obliegt der tatrichterlichen Würdigung. Bei der Bemessung des erhöhten Regelbedarfs ist das Gericht nicht gehindert, den zur Bedarfsdeckung erforderlichen Betrag unter Heranziehung des Mehrbetrags zu berechnen, der sich aus der Gegenüberstellung solcher besonderen Bedürfnisse mit bereits von den Richtwerten der Düsseldorfer Tabelle erfassten Grundbedürfnissen ergibt, und unter Zuhilfenahme allgemeinen Erfahrungswissens nach Maßgabe der § 113 Absatz I FamFG iVm § 287 ZPO zu bestimmen (vgl. Senat FamRZ 2000, 358 = NJW 2000, 954). "

Loewe

KG Berlin, Beschluss v. 28.09.2018 - 17 UF 27/18
(intern vorhanden, unser Az.: 404/18)
Kosten für Musikunterricht sind Mehrbedarf


(Zitat) "Auch die Kosten für den Musikunterricht sind Mehrbedarf, da sie nicht mehr vom Tabellenunterhalt abgedeckt werden (zum nachfolgenden vgl. Ehinger in: Ehinger/Rasch/Schwonberg/Siede, Handbuch Unterhaltsrecht, 8. Aufl., Rn. 1.32 ff. sowie BGH, Beschluss vom 11. Januar 2017 - XII ZB 565/15 -, Rn. 39, juris). Durch die Anknüpfung des Mindestunterhalts an das sächliche Existenzminimum eines Kindes (§ 1612a Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB) ergibt sich eine Konkretisierung der Bedarfsbereiche, denn im sog. Existenzminimumbericht der Bundesregierung werden alle zwei Jahre die Grundlagen für die Bemessung des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums aufgeschlüsselt. Gemäß dieses Berichtes wird ein für alle Kinder geltender Durchschnittswert für die Bildung des steuerrechtlich freizustellenden Existenzminimums ermittelt, der Grundlage für die Festlegung des Mindestunterhalts durch die MindestunterhaltsVO nach § 1612a Abs. 4 BGB ist, der wiederum die Basis für die Düsseldorfer Tabelle bildet. Auf Grundlage dieser Werte errechnet der Existenzminimumbericht unter Vernachlässigung regionaler Unterschiede für alle Altersgruppen einen für die Besteuerung maßgeblichen Durchschnittswert u. a. des Bedarfs für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben. Erfasst sind damit auch Bildungs- und Teilhabelei­stungen, sofern sie typische Bedarfspositionen abdecken, die für den überwiegenden Teil der Kinder von Bedeutung sind. Dies sind Kosten für den Schulbedarf sowie für Ausflüge und Teilhabe an Freizeitveranstaltungen (z.B. in Vereinen). Welche Verbrauchsausgaben im Regelbedarf für Kinder enthalten sind, zeigen für das Jahr 2017 §§ 6 Abs. 1 Nr. 2; 7 Abs. 4 Nr. 2; 8 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 RBEG i.V.m. § 28 Abs. 5 Satz 2 SGB XII. In der Abt. 9 des § 6 RBEG sind für Ausgaben im Bereich Freizeit, Unterhaltung, Kultur für die Altersgruppe 2 für das Jahr 2016 pauschal monatlich 40,16 EUR im Regelbedarf des SGB XII, der Bestandteil des Mindestunterhalts ist, enthalten. Da der Mindestunterhalt von 2016 bis 2018 um ca. 4 % erhöht wurde, muss vorliegend der Ausga­benbereich ebenfalls um 4 % erhöht werden: 40,16 EUR+ (4 % von 40,16 EUR)= 41,77 EUR. Da sich vorliegend der Tabellenunterhalt nach der Einkommensgruppe 9 in der Altersstufe 2 bemisst, entspricht dies 152 % des Regelbetrags, d.h., der darin enthaltene Betrag für Freizeit, Unterhaltung, Kultur beläuft sich entsprechend der prozentualen Erhöhung des Tabellenunterhalts auf 42 x 152 % und damit auf 63,49 EUR (zur Berechnung vgl. Ehinger, a.a.O., Rn. 1.441). Die Kosten für den Musikunterricht können durch diesen Betrag aber nicht bestritten werden, da dieser ja mehrere Bedürfnisse abdecken soll (vgl. § 34 Abs. 7 SGB XII), wie bspw. vorliegend Ausgaben für den Fußballverein, Schwimmkurse, Klassenfahrten, Mannschaftsfahrten, Lernmittelzuschüsse, Ferien­kurse und, angesichts des kunstaffinen Elternhauses, auch kreative Workshops. Diese Bedarfsposition ist daher durch die genannten Kosten bereits ausgeschöpft."

OLG Düsseldorf, Urteil v. 08.07.2005 - II-3 UF 21/05
Mischfall: Nachhilfeunterricht


Anmerkung: Die Kosten für Nachhilfeunterricht sind ab der 6. > Einkommensgruppe teils durch den Regelbedarf gedeckt und, teils als Mehrbedarf zu qualifizieren (= Mischfall). (Zitat)" Mehrbedarf ist nur geschuldet, soweit die Kosten nicht aus dem > regelmäßigen Kindesunterhalt gedeckt werden können. Das ist bei Nachhilfekosten in den unteren Einkommensgruppen der Düsseldorfer Tabelle zwar grundsätzlich nicht möglich (OLG Köln NJW 1999, 295). Im vorliegenden Fall haben die Parteien indessen einen Kindesunterhalt nach Gruppe 7 der Düsseldorfer Tabelle (142 % des Regelbetrags) vereinbart. Geht man davon aus, dass bei einem Unterhalt nach > Einkommensgruppe 6 monatlich etwa 20 € für > weitere Bedarfspositionen abgezweigt oder angespart werden können und zusätzlich je Einkommensgruppe die Hälfte des Differenzbetrages zum Betrag nach der 6. Einkommensgruppe (vgl. Eschenbruch/Wohlgemuth, Der Unterhaltsprozess, 3. Aufl. Rdnr.3042), hier also 10 €, so sind monatlich 30 € vorab aus dem Kindesunterhalt zu decken. Am verbleibenden Bedarf von mtl. 102 € hat sich neben dem Beklagten auch die Klägerin zu beteiligen."

BGH, Beschluss vom 20.9.2023 – XII ZB 177/22 (OLG München) - NZFam 2024, 112
Erhöhte Wohnkosten - Erhöhter Regelbedarf des Kindes bei überdurchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen des Barunterhaltspflichtigen (NZFam 2024, 112)


(Zitat) "Da ein minderjähriges Kind neben seinem Kinderzimmer auch die weiteren Räume der Wohnung mitbenutzt, kann sein Anteil an den tatsächlichen Wohnkosten in der Regel regelmäßig nicht konkret beziffert, sondern nur im Wege der tatrichterlichen Schätzung (§ 113 Absatz I 2 FamFG, § 287 ZPO) bewertet werden. [...] Dabei wird eine tatrichterliche Schätzung, die sich bei einem Zweipersonenhaushalt zwischen der nach dem 13. Existenzminimumbericht der Bundesregierung für das Jahr 2022, dort unter 5.1.3, als angemessen angesehenen Wohnfläche von 12 m² für ein Kind (BT-Drs. 19/22800, S. 8) und einer Obergrenze von 50 % der tatsächlichen Wohnfläche bewegt, regelmäßig keinen rechtsbeschwerderechtlichen Bedenken begegnen. Dabei wird regelmäßig die Zuweisung eines Drittels der Wohnfläche an das in einem Zweipersonenhaushalt lebende Kind durch die Tatrichter aus rechtlichen Gründen nicht zu beanstanden sein. Maßgeblich sind jedoch stets die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls, die gegebenenfalls eine Abweichung hiervon erforderlichen machen können. Soweit der Senatsentscheidung vom 29.9.2021 (NZFam 2021, 1008 Rn.  30, 33 mAnm Niepmann) etwas anderes entnommen werden könnte, hält der Senat hieran nicht fest.

Auch unter Zugrundelegung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs ist die vom Beschwerdegericht vorgenommene Bemessung des Wohnbedarfs der Antragstellerin nicht haltbar.

Zwar bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass das Beschwerdegericht die Größe der Wohnung, die die Antragstellerin gemeinsam mit ihrer Mutter bewohnt, und den Mietpreis von 21 EUR pro Quadratmeter unter den hier maßgeblichen wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragsgegners für angemessen erachtet hat. Auch die Anschlussrechtsbeschwerde wendet sich hiergegen nicht. Das Beschwerdegericht durfte seiner Schätzung der auf die Antragstellerin entfallenden Wohnfläche jedoch nicht den vom Antragsgegner anerkannten Bedarfssatz von 272 % des Mindestunterhalts der Düsseldorfer Tabelle zugrunde legen. [...] Zum anderen berücksichtigt der vom Beschwerdegericht gewählte Ansatz nicht ausreichend, dass das Kind neben seinem Kinderzimmer auch anteilig weitere Räume in dem gemeinsamen Haushalt nutzt, was bei der Wohnbedarfsermittlung ebenfalls zu berücksichtigen ist."


Wer entscheidet?
Wer bezahlt?

Wer entscheidet
über den Anfall vom Mehrbedarf?


Der > Regelbedarf nach DT wird in Geld geschuldet, egal ob der Unterhaltsschuldner damit einverstanden ist oder nicht. Vor Trennung der Eltern gibt es noch ein > Bestimmungsrecht über Art und Form des Unterhalts für beide Elternteile. In diesem Bereich gilt die DT nicht. Nach der Trennung muss > Barunterhalt nach Maßgabe der DT bezahlt werden (§ > 1612 Abs. 2 S.2 BGB). Auch über die Unterhaltshöhe (d.h. niedriger als der Regelbedarf) können die Eltern keine Vereinbarung schließen (> Unterhaltsvereinbarung). Beim > Mehrbedarf ist die Situation anders. Diese Bedarfsposition entsteht nur dann, wenn sich die sorgeberechtigten Eltern dafür > entscheiden. Beim > Sonderbedarf ist das wieder anders: Er entsteht ungeplant, nicht vorhersehbar und daher unabhängig vom Willen oder Entscheidung der Eltern (vgl. > Legaldefinition zum Sonderbedarf in § > 1613 Abs.2 Ziff.1 BGB).

Mandanteninformation
Wann und wie ist eine Entscheidung vom anderen Elternteil einzuholen?


Hier finden Sie u.a. einen Musterantrag, wenn eine gemeinsame Entscheidung der Eltern zu einer Angelegenheit mit erheblicher Bedeutung für das Kind durchgesetzt werden soll. Lehnt ein Elternteil den Aufwand für einen Mehrbedarf ab, stellt sich die Frage, ob der andere Elternteil über die Entstehung des Mehrbedarfs allein entscheiden darf. Die Antwort richtet sich nach den Regeln zum > Sorgerecht. Besteht ein > gemeinsames Sorgerecht der Eltern, hat der Elternteil, bei dem sich das Kind gewöhnlich aufhält, die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten des > täglichen Lebens. Betrifft der Mehrbedarfs keine Angelegenheit des täglichen Lebens, sondern geht es um eine Angelegenheit von > erheblicher Bedeutung , müssen mitsorgeberechtige Eltern versuchen, sich zu einigen. Erscheint eine Einigung nicht erreichbar, ist eine gerichtliche Klärung herbeizuführen:

  • Weiterführende Links :
    » Gemeinsame Entscheidungsbefugnisse der Eltern > mehr

Wer bezahlt
den Mehrbedarf?



Elternhaftung
beim Regelbedarf


Den > Regelbedarf nach DT für minderjährige Kinder bezahlt der barunterhaltspflichtige Elternteil allein. Demgegenüber erfüllt der kinderbetreuende Elternteil seine Unterhaltspflichten durch seine Betreuungsleistungen für das Kind (= Naturalleistungen > mehr). Erst ab Volljährigkeit kommt es zur anteiligen Barunterhaltspflicht beider Eltern
> hier

Anteilige Elternhaftung
bei Mehr- und Sonderbedarf


BGH, Beschluss vom 18.05.2022 - XII ZB 325/20
Mehrbedarf | Sonderbedarf | anteilige Haftung


(Zitat, Rn 43) " Neben die Tabellenbeträge, die den Regelbedarf abdecken, kann nach der Rechtsprechung des Senats ein Mehrbedarf für solche Bedarfspositionen treten, welche ihrer Art nach nicht in den Tabellenbedarf und mithin auch nicht in die Steigerungsbeträge einkalkuliert sind. An diesem hat sich der betreuende Elternteil grundsätzlich zu beteiligen, weil insoweit eine Befreiung vom Barunterhalt nach § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB nicht eingreift (Senatsbeschluss BGHZ 227, 41= FamRZ 2021, 28 Rn. 24). Dabei ist vor der Gegenüberstellung der beiderseitigen unterhaltsrelevanten Einkünfte generell ein Sockelbetrag in Höhe des angemessenen Selbstbehalts abzuziehen (Senatsbeschluss vom 10. Juli 2013 - XII ZB 298/12 - FamRZ 2013, 1563 Rn. 12 mwN). Nach § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB haften die Eltern insoweit nicht als Gesamtschuldner, sondern > anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen (vgl. Senatsurteil vom 19. November 1997 - XII ZR 1/96 - FamRZ 1998, 286, 287 f. mwN)"

Anmerkung: Ab Trennung haftet der Elternteil für den > Barunterhalt seiner minderjährigen Kinder allein, der das Kind nicht überwiegend betreut (> Betreuungskosten & Betreuungsmodelle). Die Alleinhaftung folgt aus dem Grundsatz der > Gleichwertigkeit von Natural- und Barunterhalt (mehr dazu > hier). Eine Ausnahme davon gilt bei der Kostentragung von Mehr- und/oder Sonder bedarf (BGH, Beschluss vom > 05.03.2008). Bedarfspositionen, die Mehr- oder Sonderbedarf darstellen, haben die Eltern > anteilig nach ihrer jeweiligen "wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit" zu bezahlen (§ > 1606 Abs.3 S.1 BGB). Mehrbedarf und Sonderbedarf bezahlen beide Eltern grundsätzlich anteilig, egal ob das Kind minderjährig oder volljährig ist. Mehr dazu
> hier

BGH, Beschluss vom 20.9.2023 – XII ZB 177/22 (OLG München) - NZFam 2024, 112
Keine Anteilige Haftung der Eltern für Mehrbedarf bei wirtschaftlichem Ungleichgewicht


(Zitat) "Zwar hat sich der betreuende Elternteil grundsätzlich anteilig nach den Erwerbs- und Vermögensverhältnissen der Eltern an den Kosten eines berechtigten Mehrbedarfs zu beteiligen (vgl. Senat NZFam 2022, 833 Rn. 43 mwN). Aber auch in diesem Zusammenhang ist die unterhaltsrechtliche Belastung der Elternteile im Rahmen einer umfassenden Billigkeitsprüfung angemessen zu würdigen (vgl. Senat NJW 2013, 2897 Rn. 28).

Für den Fall, dass der betreuende Elternteil etwa über das Dreifache der unterhaltsrechtlich relevanten Nettoeinkünfte des an sich barunterhaltspflichtigen Elternteils verfügt, hat der Senat entschieden, dass sich dann die Einkommensdifferenz einer Grenze nähert, bei der es unter gewöhnlichen Umständen der Billigkeit entsprechen kann, den betreuenden Elternteil auch den Barunterhalt für das Kind in voller Höhe aufbringen zu lassen (Senat NJW 2013, 2897 Rn. 29 mwN). Wenn aber eine erhebliche Einkommensdifferenz zwischen den Elternteilen es bereits rechtfertigt, dem betreuenden Elternteil auch die Barunterhaltspflicht aufzuerlegen, bestehen in einem Fall wie dem vorliegenden, bei dem der barunterhaltspflichtige Elternteil mindestens über das Zehnfache des Einkommens des anderen Elternteils verfügt, keine rechtlichen Bedenken dagegen, dem Antragsgegner als dem barunterhaltspflichtigen Elternteil die Kosten für einen berechtigten Mehrbedarf der Antragstellerin in vollem Umfang aufzuerlegen.

 

Beispiel
für Mithaftungsquote


Der Mehrbedarf eines Kindes beträgt 200,- € pro Monat. Der Vater verdient 3.500,- € pro Monat, die Mutter monatlich 2.500,- €. Der Vater bezahlt Tabellenunterhalt für das Kind (12 Jahre) in Höhe von 581 €  (= Tabellen-Bedarf nach > Düsseldorfer Tabelle (2023) abzüglich des hälftigen > Kindergeldes). Ehegattenunterhalt von V an M wird nicht bezahlt. Maßstab der jeweiligen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern ist das jeweilige > bereinigte Einkommen nach Abzug der angemessenen Selbstbehalte [> Selbstbehaltssatz (SB-Satz) seit 2023: 1.650,00 €]. Die Haftungsquotenberechnung vollzieht sich in folgenden Schritten:

  • Leistungsfähigkeit des Vaters: 3.500,00 € (Einkommen) - 581,00 € (Zahlbetrag) - 1.650,- € (SB-Satz nach DT) = 1.269,00 €
  • Leistungsfähigkeit der Mutter: 2.500,00 € - 1.650,00 € (SB-Satz) = 915,00 €?
    Achtung: Hier kommt die neue Rechtsprechung des BGH ins Spiel (BGH, Beschluss vom 18.05.2022 - XII ZB 325/20, Rn 49). Weil M neben der Kinderbetreuung eigenes Einkommen erzielt, ist der Bedarf des Kindes nach dem bereinigten > Gesamteinkommen der Eltern und Düsseldorfer Tabelle zu bestimmen. Bedarfsmaßstab für den Kindesunterhalt ist also 6.000 € [=  3.500 € + 2.500 €]. Laut Düsseldorfer Tabelle (2023) ergibt sich ein Tabellenbedarf in Höhe von 988 € abzgl. Kindesunterhalt (250,00 €) = 738 €. Hierauf leistet M einen Zahlbetrag in Höhe von 581 €. Ungedeckter Bedarf ist damit in Höhe von157,00 € (= 738,00 € - 581 €) festzustellen.  Diesen Anteil in Höhe von 157,00 € trägt die kinderbetreuende M als Naturalunterhalt und ist ein Abzugsposten der Einkommensbereinigung. Das bereinigte Einkommen der M, dass in die Aufteilungsrechnung einzusetzen ist, beträgt damit: 2.500,00 € - 1.650,00 € (SB-Satz) - 157,00 € [anteiliger (monetarisierter) Naturalunterhalt] = 693,00 €
  • Gesamtleistungsfähigkeit der Eltern: 1.962 € (= 1.269,00 € + 693,00 €)
  • Haftungsanteil des Vaters: 1.269 ./. 1.962 x 100% = 65 %  (früher: 56 %)
  • Haftungsanteil der Mutter: 693 ./. 1.962 x 100% = 35 % (früher: 44 %)
Die Finanzierung des Mehrbedarfs von 200,00 € pro Monat hat damit anteilig durch den Vater zu 65 % und durch die Mutter zu 35 % zu erfolgen. Der Vater übernimmt vom Mehrbedarf anteillig also 130,00 € (= 65 % aus 200,00 €) und die Mutter in Höhe von 70,00 € (= 35 % aus 200,00 €).

Hinweise:

  • Abzug Selbstbehalt:
    Leistungsfähig ist nur derjenige Elternteil, soweit ihm Einkommen über dem jeweils > angemessenen Selbstbehalt zur Verfügung steht. Der tatsächlich angemessene Selbstbehalt muss nicht dem SB-Satz nach DT entsprechen. Es können Korrekturen veranlasst sein:
    > mehr
  • Fiktives Einkommen:
    Die Betreuung des Kindes befreit den betreuenden Elternteil auch nicht ohne Weiteres von seiner Erwerbsobliegenheit. Das Kind kann allerdings regelmäßig nicht darauf verwiesen werden, den Unterhalt auf Grund fiktiven Einkommens gegen den betreuenden Elternteil geltend zu machen (> mehr; vgl. Wendl/Dose, Unterhaltsrecht, 9. Aufl 2015, § 2, Rn 435 ).
  • Ehegattenunterhalt:
    Würde im obigen Beispielsfall M von V Ehegattenunterhalt erhalten, so würde diese Unterhaltslast bei V - neben dem Regelunterhalt für das Kind - zum Abzug vom Einkommen kommen. M würde der Ehegattenunterhalt bei der Haftungsquotenberechnung angerechnet
    werden.
  • Weiterführende Links und Literatur:
    » Maaß, Bedarfsbemessung im Interhalt minderjähriger Kinder, in: NZFam 2023, 49
    » Niepmann, Anmerkung zu (BGH, Beschluss vom 18.05.2022 - XII ZB 325/20, in: NZFam 2022, 838
    » OLG Frankfurt a.M., Beschlluss vom 09.06.2022 - 7 UF 77/21, Naturalunterhalt für die Kinder bei Berechnung von Ehegattenunterhalt
    » Haftungsquote bestimmen und durchsetzen  

Ausgleichsanspruch
bei Vorfinanzierung durch einen Elternteil



Kein Erstattungsanspruch

ohne vorheriger Geltendmachung und Mahnung


Vorsicht: hier müssen die Spielregeln zur > rückwirkenden Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen eingehalten werden. Wurde der wegen Mithaftung und auf Ausgleich in Anspruch genommene Elternteil vorab nicht gemahnt und damit in Verzug gesetzt, ist der Ausgleichsanspruch nicht rückwirkend durchsetzbar. Geht es um Finanzierung eines Mehrbedarfs des Kindes, sollte man ohne vorherige > Mahnung keine entsprechenden Aufwendungen vorfinanzieren, wenn man sich einen Ausgleichsanspruch gegen den anderen Elternteil sichern will.

Gesamtschuldnerausgleich ( § 426 BGB) oder familienrechtlicher Ausgleichsanspruch
bei gemeinsamer vertraglicher Verbindlichkeit der Eltern?


OLG Naumburg Beschluss vom 22.09.2011 – 8 UF 118/11
Gesamtschuldnerausgleich nach § 426 BGB oder familienrtechtlicher Ausgleichsanspruch?


Für unterhaltsrechtlichen Mehrbedarf haften die Eltern anteilig. (Zitat, Rn 31 ff) "Dieser Umstand könnte es nahelegen, den Grundsatz der gleichanteiligen Haftung der Beteiligten im Innenverhältnis zueinander als vom unterhaltsrechtlichen Verhältnis überlagert anzusehen und insoweit von einer anderen Bestimmung im Sinne des § 426 Abs. 1 S. 1 BGB auszugehen. Eine solche Betrachtungsweise ließe allerdings außer Acht, dass Eltern ihren Kindern gegenüber gemäß § 1606 Abs. 3 BGB eben nicht als Gesamtschuldner, sondern als Teilschuldner verpflichtet sind (vgl. NK-BGB/Saathoff, 2. Aufl., § 1606 Rn 5; Palandt/Brudermüller, BGB, 70. Aufl., § 1606 Rn 2; Wever, Vermögensauseinandersetzung der Ehegatten außerhalb des Güterrechts, 4. Aufl., Rn 899). Deshalb scheiden Ansprüche der Antragstellerin unter dem Gesichtspunkt des Gesamtschuldnerausgleichs aus, soweit sie allein das Schulgeld [Mehrbedarf] getragen hat. Hieran ändert es nichts, dass - vordergründig - die gemeinsam eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen der Beteiligten gegenüber dem Schulträger für eine gesamtschuldnerische Ausgleichspflicht sprechen, denn mit der Vereinbarung mit dem Schulträger über Schulbesuch und Hortbetreuung der gemeinsamen Kinder haben die Beteiligten lediglich eine Bestimmung über die Art der Verwendung der für die Befriedigung des Mehrbedarfs aufgewendeten Mittel im Sinne des § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB getroffen. Die Zahlung von Schul- und Hortkosten stellt damit eine Mehrbedarfsleistung an die gemeinsamen Kinder der Beteiligten dar. In Fällen dieser Art wird dem Elternteil, der den Unterhalt allein aufbringt, kein gesamtschuldnerischer, wohl aber grundsätzlich ein familienrechtlicher Ausgleichsanspruch zugebilligt (vgl. BGH FamRZ 1984, 775 und FamRZ 1989, 850; NK-BGB/Saathoff, 2. Aufl., § 1606 Rn 15; Wever, Vermögensauseinandersetzung der Ehegatten außerhalb des Güterrechts, 4. Aufl., Rn 904)."


Erstattungsanspruch
gegen nichtsorgeberechtigten Elternteil


Der > allein sorgeberechtigte Elternteil, der einen Mehrbedarf allein ( vor-)finanziert, kann vom anderem Elternteil entsprechend der > Haftungsquote Regress über den > familienrechtlichen Ausgleichsanspruch fordern. Doch Vorsicht; auch hier gelten die Spielregeln zur > rückwirkenden Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen.


Erstattungsanspruch
gegen mitsorgeberechtigten Elternteil


Führt ein Elternteil gegen den Willen des anderen (> mitsorgeberechtigten) Elternteils eine Maßnahme durch, die zum Mehrbedarf des Kindes führt, kommt es nicht automatisch zur > anteiligen Haftung beider Eltern.

  • Betrifft der Mehr- oder Sonderbedarf eine Angelegenheit des Kindes von > erheblicher Bedeutung gilt der Grundsatz, dass ein Mithaftung eines mitsorgeberechtigten Elternteils für Mehrbedarf erst in Betracht kommt, wenn dieser mit der kostenauslösenden Maßnahme einverstanden war oder das fehlende > Einverständnis gerichtlich ersetzt wurde.
  • Der mitsorgeberechtigte Elternteil, der die Maßnahme für den Mehrbedarf nicht wollte, hat die Mehrbedarfs-Kosten grundsätzlich nur dann mitzutragen, wenn
  • eine Angelegenheit des täglichen Lebens des Kindes betroffen ist: mehr dazu > hier

    OLG Düsseldorf, Urteil.v. 08.07.2005 - II-3 UF 21/05
    Nachhilfeunterricht - Angelegenheit des täglichen Lebens

    (Zitat) "Entgegen der Auffassung des Beklagten konnte die Klägerin auch ohne sein Einverständnis N. zur Nachhilfe beim Nachhilfezentrum G. anmelden (vgl. § 1612 Abs.2 S.3 BGB). Bei der Nachhilfe handelt es sich um eine Angelegenheit des > täglichen Lebens, über die der Elternteil, bei dem sich das Kind aufhält, nach § 1687 Abs.1 S.2 BGB auch bei gemeinsamer elterlicher Sorge allein entscheiden kann (vgl. etwa Schwab, FamRZ 1998, 457, 469; Anwaltkommentar/Peschel-Gutzeit, § 1687 Rdnr.14; Bamberger/Roth/Veit, § 1687 Rdnr.12).

  • Im Einzelfall ist stets genau zu prüfen, ob wichtige Gründe vorliegen, die es rechtfertigen, den Barunterhaltspflichtigen mit den erheblichen Mehrkosten zu belasten. Es muss sich um eine notwendige Maßnahme (z.B. aus therapeutischen oder pädagogischen Gründen unabweisbar oder zumindest dringend empfehlenswert) handeln. So mag ein > Internatsbesuch im Ausland allgemein förderlich sein, etwa zum Erwerb einer Fremdsprache. Aber nicht dringend empfehlenswert. Die Eltern schulden grundsätzlich die Ausbildung, die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungsvermögen und den beachtenswerten Neigungen des einzelnen Kindes am besten entspricht. Sie schulden die wirtschaftlich zumutbare Finanzierung einer optimalen begabungsbezogenen Berufsausbildung (Wendl/Dose, das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 9. Auflage 2015, > Rn. 2/69 )
  • Weiteres Kriterium ist neben den Einkommens- und Vermögensverhältnissen, ob eine kostengünstigere Alternative zu der gewählten Maßnahme existiert (d.h. eine Verhältnismäßigkeit muss gewahrt sein: BGH NJW 1983, 393; KG Berlin, Report 2002, 288 = FuR 2003, 178).
  • Eine Mithaftung scheidet weiter aus, wenn die Maßnahme nicht in erster Linie dem Kind, sondern den > Interessen des anderen > Elternteils dienen soll (vgl. OLG Naumburg, in NJW 2012, 623)

Ist Mehr- und Sonderbedarf
ein Abzugsposten beim Elterneinkommen?


Der Regelbedarf des Kindes nach Düsseldorfer Tabelle bestimmt sich nach > Einkommensgruppen. Eine Frage, die uns immer wieder gestellt wird, ist die, ob vor Zuordnung des festgestellten Einkommens eine > Einkommensbereinigung um Kosten für Mehr- oder Sonder bedarfs erfolgt. Nach Rechtsprechung und Literatur ist das nicht der Fall. Mehr- und Sonder bedarf wird zusätzlich zum > Regelbedarf geschuldet. Davon wird nur für Beiträge zur > privaten Krankenversicherung der Kinder (inkl. Selbstbeteiligungen) eine Ausnahme gemacht: Diese gelten als berücksichtigungswürdiger Abzugsposten. Mehr Informationen zur privaten Krankenversicherung der Kinder > hier. Geht es um die Bedarfsermittlung beim > Ehegattenunterhalt sind sämtliche Aufwendungen für die Kinder (inkl. Mehrbedarfspositionen) bei der Einkommensbereinigung der Ehegatten zu berücksichtigen (> Formel zum Gesamtbedarf der Ehegatten).


Leistungsfähigkeit
der Eltern zur Deckung von Mehrbedarf

Wenn das Geld zur Deckung
des Mehrbedarfs nicht reicht?


Der Bedarf eines Kindes an Unterhalt ist zu decken, soweit der unterhaltspflichtige Elternteil leistungsfähig ist (> Formel zur Leistungsfähigkeit). Die Grenzen der Leistungsfähigkeit können schnell erreicht sein, wenn Eltern gegenüber mehreren Kindern Unterhalt zu leisten haben.


Anteilige Bedarfsdeckung
Prüfungsschritte


Reicht das Einkommen zur vollständigen Bedarfsdeckung für alle Kinder nicht aus, taucht die Frage nach der anteiligen Bedarfsdeckung mit der vorhandenen Verteilungsmasse auf. Es ist nach folgender Rangfolge vorzugehen:

  1. Zunächst ist der Rang der unterhaltsberechtigen Kinder nach § > 1609 BGB festzustellen. Minderjährige und Kinder im Sinne des § > 1603 Abs.2 S.2 BGB (= privilegierte volljährige Kinder) stehen an erster Rangstelle (§ > 1609 Ziff. 1 BGB). Nachrangige Kinder (§ 1609 Ziff.4 BGB) kommen unterhaltsrechtlich erst zum Zug, wenn der Bedarf vorrangiger Unterhaltsgläubiger (§ > 1609 Ziff. 1 bis Ziff.3 BGB) vollständig befriedigt ist (> Rechtsprechung zu § 1609 BGB).
  2. Ist der Rang geklärt, ist gleichmäßig der > Mindestunterhalt nach Maßgabe des § 1612a BGB für alle vorrangigen Kinder zu sichern.
  3. Ist dann noch eine über dem Selbstbehalt liegende Verteilungsmaße vorhanden, ist diese gleichmäßig zur Deckung des > Regelbedarfs nach DT (= Tabellenunterhalt) zu verwenden.
  4. Erst anschließend stellt sich die Frage, ob nach Erfüllung der Grundbedarfs-Positionen lt. Ziff. 2 und 3 aller gleichrangiger Kinder noch eine Verteilungsmasse zur Bedarfsdeckung von Zusatzbedarf (= Mehrbedarf oder Sonderbedarf) eines Kindes verbleibt (so Klinkhammer, in: Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 8. Aufl. 2011, § 2 Rn 435).


Mehrbedarf gerichtlich geltend machen
Abänderungsantrag oder Leistungsklage?

Die Frage, ob Mehrbedarf, der erst nach Bestehen eines Titels über den Elementarunterhalt entsteht, als Leistungsantrag oder in Form eines > Abänderungsantrags geltend zu machen ist, ist nach wie vor umstritten. Für den Abänderungsantrag spricht, dass ein und dieselbe Position teilweise im Elementarunterhalt enthalten sein kann und der darüberhinausgehende Teil Mehrbedarf darstellen kann (> Mischfälle: OLG Karlsruhe, FamRZ 2019, 1859 für Kosten im Rahmen der Internatsunterbringung; vgl. auch für > Nachhilfe OLG Düsseldorf, NJW-RR 2005, 1529 und OLG Brandenburg, NZFam 2016, 983). Nach einer verbreiteten Ansicht ist Mehrbedarf daher unselbständiger Teil des Elementarbedarfs und zusammen mit diesem bzw. im Abänderungsverfahren, wenn er erst später entsteht, geltend zu machen (Ebert, NZFam 2016, 438, 443; Graba, FamFR 2012, 338). Dies führt dazu, dass er nicht mehr beantragt werden kann, wenn er bei Erstellung des Titels auf Elementarunterhalt bereits vorlag. Ist der Mehrbedarf zweifelsfrei ohne jeden Einfluss auf den Elementarbedarf, kann er auch im Wege eines > isolierten Leistungsantrags gefordert werden (Wendl/Klinkhammer, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Aufl., § 2 Rn. 451).


Unterhaltstitel
zum Mehrbedarf

Für Unterhaltsansprüche besteht ein allgemeines > Titulierungsinteresse. Steht fest, dass das Kind einen Anspruch auf Deckung eines Mehrbedarfs hat, kann sowohl der Regelbedarf als auch der Mehrbedarf mittels kostenloser > Jugendamtsurkunde tituliert werden.


Sonderbedarf

Definition


Der Begriff "Sonderbedarf" ist in § 1613 Abs. 2 Ziff.1 BGB legal definiert. Weiter bekommt der Begriff Konturen aus dem Zusammenspiel mit dem Regelbedarf nach Düsseldorfer Tabelle: mehr dazu
> hier

§ 1613 Abs.2 Ziff.1 BGB
Gesetzestext


(1) [zum Gesetzestext von Abs.1 > hier]

(2) Der Berechtigte kann für die > Vergangenheit ohne die Einschränkung des Absatzes 1 Erfüllung verlangen

1. wegen eines > unregelmäßigen außergewöhnlich hohen Bedarfs (Sonderbedarf); nach Ablauf eines Jahres seit seiner Entstehung kann dieser Anspruch nur geltend gemacht werden, wenn vorher der Verpflichtete in Verzug gekommen oder der Anspruch rechtshängig geworden ist;

(...)

(3) [zum Gesetzestext von Abs.3 > hier]

Rechtsprechung


Sonderbedarf ist ein Zusatzbedarf der besonderen Art. Bereits aus dem Begriff "Sonderbedarf" ergibt sich, dass diese Bedarfsposition kaum im > Regelbedarf enthalten sein kann. Doch was ist der Unterschied zum > Mehrbedarf? Dazu die Rechtsprechung:

BGH, Beschluss vom 18.05.2022 - XII ZB 325/20
Definition | Kriterien: Sonderbedarf


(Zitat, Rn 45) "Ausnahmsweise kann der Unterhaltsberechtigte neben dem laufenden Barunterhalt – auch für die Vergangenheit – weiteren Unterhalt wegen eines unregelmäßigen außergewöhnlich hohen Bedarfs (Sonderbedarf) verlangen (§ 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Nach der Rechtsprechung des Senats muss es sich dabei um einen Bedarf handeln, der überraschend und der Höhe nach nicht abschätzbar auftritt. Unregelmäßig im Sinne von § 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist also nur der Bedarf, der nicht mit Wahrscheinlichkeit vorauszusehen war und deswegen bei der Bemessung der laufenden Unterhaltsrente nicht berücksichtigt werden konnte. Wann ein in diesem Sinne unregelmäßiger Bedarf zugleich außergewöhnlich hoch ist, lässt sich hingegen nicht nach allgemein gültigen Maßstäben festlegen; vielmehr kommt es insoweit auf die Umstände des Einzelfalls an, insbesondere auf die Höhe der laufenden Unterhaltsrente und die sonstigen Einkünfte des Berechtigten, auf den Lebenszuschnitt der Beteiligten sowie auf den Anlass und den Umfang der besonderen Aufwendungen. Letztlich richtet sich die Frage, ob ein Bedarf außergewöhnlich hoch ist, danach, ob und inwieweit dem Berechtigten, wenn der Verpflichtete an sich leistungsfähig ist, bei einer Gesamt betrachtung zugemutet werden kann, den Bedarf selbst zu bestreiten (Senatsurteil vom 15. Februar 2006 - XII ZR 4/04 - FamRZ 2006, 612 f. mwN)."

Loewe

Thüringer OLG, Urteil vom 30.06.2005 - 1 UF 68/15
(intern vorhanden; Az.112/16)
krankheitsbedingte Mehrkosten: Mehrbedarf oder Sonderbedarf?


(Zitat) "Die krankheitsbedingten Mehraufwendungen für den Erstkläger [Kind] sind nicht mehr vom Tabellensatz erfasst, sondern als Mehr-, nicht Sonderbedarf i. S. v. § 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB nach § 287 ZPO auf die erstinstanzlich angesetz­ten 75,00 € monatlich zu schätzen. Es handelt sich nicht, wie das Familiengericht im Urteil angenommen hat, um Sonderbedarf, denn der Zusatzaufwand - das zeigen gerade die klägerischen Aufstellungen - ist vorhersehbar, überschaubar und wäre einer Rücklagenbildung zugänglich (Palandt / Diederichsen, 64.A.; § 1610 BGB, Rn 12 und § 1613 BGB, Rn 16). Die Notwendigkeit v. a. besonderer Hautpflege und Ernährung ist dem [Kind] kinder- und hautärztlich bescheinigt worden. Die Kläger[Mutter] haben ihre krankheitsbedingten Mehrkosten nach Art, Menge und Preis im Vergleich zu den üblicherweise entstehenden Aufwendungen > konkret dargelegt (vgl. OLG Karlsruhe in FamRZ 1998, 1435/1436 m.w.N.)" 

Beispiele


Ob ein Zusatzbedarf der Kategorie Mehrbedarf oder der Kategorie Sonderbedarf zuzurechnen ist, entscheidet sich nach dem Kriterium, ob der Zusatzbedarf die Merkmale des § > 1613 Abs. 2 S.1 Ziff. 1 BGB erfüllt (> Definition des Sonderbedarfs).

Sonderbedarf oder Mehrbedarf?


  • Erste Babyausstattung: Die Erstausstattung eines Säuglings stellt Sonderbedarf i.S. des § 1613 Abs.2 Ziff. 1 BGB dar und kann im Wege einer Schätzung mit einem Pauschalbetrag von 1.000,00 € gefordert werden (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 12.05.2009 – 11 UF 24/09; NJW-RR 2009, 1305)
  • Brille? Eine Brille ist aber dann kein Sonderbedarf (sondern Mehrbedarf), wenn es absehbar war, dass diese benötigt wird (Bömelburg, Schnitzler AnwHdB - Familienrecht; § 4 Rn 124).
  • Medizinische oder heilpädagogische Behandlungen des Kindes. Umstitten ist in der Praxis immer wieder, wie Kosten für kieferorthopädische Behandlungen (Zahnspange) einzuordnen sind. Für die Weichenstellung ist maßgeblich, ob es sich dabei um regelmäßig, über einen längeren Zeitraum anfallenden Bedarf handelt (AG Detmold, Beschluss vom 19.02.2015 - 32 F 132/13):

    BGH, Beschluss vom 18.05.2022 - XII ZB 325/20
    Kieferorthopädische Behandlung | Speed Brackets


    (Zitat, Rn 44, 47) "Entsprechendes gilt für den Sonderbedarf, der vorliegend aus der kieferorthopädischen Behandlung des Kindes Na. folgt (...) Soweit sich die Rechtsbeschwerdeerwiderung gegen die Verwendung von den sogenannten Speed Brackets wendet, hat der Tatrichter den hieraus resultierenden Zusatzbedarf als grundsätzlich angemessenen Sonderbedarf qualifiziert; das ist frei von Rechtsfehlern, weil das Oberlandesgericht alle maßgeblichen Umstände, insbesondere die mit dieser Behandlungsart verbundenen Vorteile und die Einkommensverhältnisse der Beteiligten berücksichtigt und daraus einen rechtlich bedenkenfreien Schluss gezogen hat.

  • > Kosten des Kindesunterhaltsverfahrens

Kein Sonderbedarf


  • Kosten für einen Führerschein (vgl. DIJuF-Themengutachten, Mehrbedarf und Sonderbedarf beim Kindesunterhalt, 2012, Ziff. 6; KG Berlin, Beschluss vom 22.11.2003 - 18 WF 431/03).
  • Kosten für die Schultüte
  • Kosten für Nachhilfeunterricht: nein. Sie können aber > Mehrbedarf darstellen, wenn die Kosten das Übliche übersteigen und länger erforderlich sind (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 8. 7. 2005 - 3 UF 21/05).
  • Die Kosten für eine Konfirmation sind spätestens mit Beginn des Konfirmandenunterrichts absehbar und deswegen nicht überraschend i. S. von § > 1613 Abs.2 Nr. 1 BGB (also kein Sonderbedarf: BGH, Urteil v. 15.2.2006 - XII ZR 4/04 ). Aber: Kosten für Konfirmation und Kommunion können als > Mehrbedarf zusammen mit dem laufenden Unterhalt geltend gemacht werden, sodass Rücklagen (> Mischfall) gebildet werden können (FamRZ 2006, 612).

Sonderbedarfspositionen sind solche Aufwendungen für das Kind, die plötzlich und unerwartet auftreten. Welche Positionen hierzu zählen können, zeigt folgende Tabelle:


TABELLE
zum ermitteln des Sonderbedarfs

Bedarfspositionen zum

Sonderbedarf

Kostenbetrag/Monat

(Jahresbetrag x 1/12)

Beleg –Nr.

Verfahrenskostenvorschuss

(BGH NJW-RR 2004, 1662)

Kieferorthopädische Behandlung

(OLG Celle FamRZ 2008, 1884)

Säuglingsausstattung

(OLG Koblenz NJW-RR 2009, 1305)

Sonstiges



Sonderbedarf kann rückwirkend gefordert werden


§ 1613 Abs.1 BGB ist die Zentralnorm zu der Frage, ab wann Unterhalt für die Vergangenheit verlangt werden kann (> Thema: Unterhalt rückwirkend). In § 1613 Abs.2 Ziff.1 BGB hat der Gesetzgeber die Legaldefinition des Begriffs "Sonderbedarf" angesiedelt. Damit wird deutlich, warum die Unterscheidung zum Mehrbedarf wichtig ist: Sonderbedarf kann > ohne weitere Sicherungsmaßnahmen für die Vergangenheit geltend gemacht werden. Handelt es sich um Mehrbedarf, sind dagegen Sicherungsmaßnahmen nach 1613 Abs.1 BGB erforderlich (> Sicherungsmaßnahmen).

Links & Literatur



Links



Literatur



In eigener Sache


  • Kosten für die Säuglingsausstattung, Elternbeitrag für Hort-Kosten, unser Az.: 7/15
  • Regressforderung eines Elternteils wegen verauslagter Kosten für kieferorthopädische Behandlungen, unser Az.: 84/15 (D4/400-15)
  • Hinweise zur Darlegung des konkreten Mehr- und Sonderbedarfs und Belege, unser Az.: 9/16 (D3/137-16)
  • Abänderung eines Unterhaltstitels zum Mehrbedarf wegen Wegfall des Mehrbedarfs, unser Az.: 112/16 (D3/902-16)
  • Berechnung der anteiligen Haftungsquoten der Eltern zur Deckung des Mehrbedarfs, unser Az.: 8/17 (D3/149-17)
  • AG Büdingen - 51 F 479/16 UK, zur Abgrenzung des Mehrbedarfs vom Regelbedarf beim Ausbildungsunterhalt für volljähriges Kind, unser Az.: 09/16 (D3/1205-16)