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Verstehen Sie, wie die Selbstbehaltssätze in Abhängigkeit von Einkommen und Vermögen ermittelt werden und welche Korrekturen an den Richtwerten im Einzelfall notwendig sind. Wir klären Sie darüber auf. Kontaktieren Sie uns noch heute für eine Beratung!
| Wegweiser zur unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit
(1) Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren.
(2) Befinden sich Eltern in dieser Lage, so sind sie ihren minderjährigen unverheirateten Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Den minderjährigen unverheirateten Kindern stehen volljährige unverheiratete Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gleich, solange sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden. Diese Verpflichtung tritt nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist; sie tritt auch nicht ein gegenüber einem Kind, dessen Unterhalt aus dem Stamme seines Vermögens bestritten werden kann.
“Ist der Verpflichtete nach seinen Erwerbs- und Vermögensverhältnissen unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande, ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts dem Berechtigten Unterhalt zu gewähren, so braucht er nur insoweit Unterhalt zu leisten, als es mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Erwerbs- und Vermögensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten der Billigkeit entspricht. Den Stamm des Vermögens braucht er nicht zu verwerten, soweit die Verwertung unwirtschaftlich oder unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse unbillig wäre.”
Anmerkung:
Die Ermittlung des Ehegattenunterhalt wird vom sog. Halbteilungsgrundsatz beherrscht: Danach stet jedem Ehegatten grundsätzlich die Hälfte des Gesamteinkommen der Ehegatten zu. Der Halbteilungsgrundsatz trifft damit eine wichtige Aussage zum Eigenbedarf des Ehegatten.
Die Selbstbehaltsätze der Düsseldorfer Tabelle zum Ehegattenunterhalt gewinnen damit nur an Bedeutung, wenn ein Ehegatte den Mindestunterhalt fordert und hier der unterhaltspflichtige Ehegatte an die Grenze der Leiustungsfähigkeit stößt.
(Zitat) “Für den Trennungsunterhalt fehlt zwar eine dem § 1581 BGB entsprechende Regelung, die den Selbstbehalt des unterhaltspflichtigen Ehegatten sicherstellt. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet es jedoch, diese Vorschrift entsprechend anzuwenden, da sich auch der Anspruch auf Trennungsunterhalt wie jeder Unterhaltsanspruch an der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen auszurichten hat (Senatsurteil BGHZ 166, 351, 358 = FamRZ 2006, 683, 684 m.w.N.).”
Anmerkung: Die Vorschrift zum Trennungsunterhalt (§ 1361 BGB) enthält keine spezielle Regelung zur Leistungsfähigkeit. Es ist allgemein anerkannt, dass hier die gleichen Maßstäbe wie beim nachehelichen Unterhalt nach § 1581 BGB gelten.
Formel der Leistungsfähigkeit:
Leistungsfähig ist, wer Einkommen und verwertbares Vermögen über dem zu belassenden Eigenbedarf besitzt.
Kann der Unterhaltsschuldner seinen eigenen Lebensunterhalt nicht sicherstellen, da er andere Verpflichtungen hat, besteht keine Unterhaltsverpflichtung aufgrund fehlender Leistungsfähigkeit. Es ist wichtig, den eigenen Bedarf vor anderen Unterhaltsverpflichtungen zu decken. Eigenbedarf bezieht sich auf den Teil des Einkommens, der dringend für den eigenen Lebensunterhalt benötigt wird. Doch wie viel Einkommen sollte dem Unterhaltspflichtigen dafür zur Verfügung stehen?
Die gesetzlichen Vorschriften zur Leistungsfähigkeit legen keine genaue Höhe für den angemessenen Eigenbedarf fest. Ohne diese Kenntnis ist es schwierig zu beurteilen, wann die Grenze der Leistungsunfähigkeit erreicht ist. Diese Einschätzung kann von jeder Person unterschiedlich empfunden werden.
Leistungsfähigkeit und Selbstbehaltsätze:
BGH, Urteil vom 19. Februar 2003 – XII ZR 67/00
Eigenbedarf – Unterhaltstabellen – Selbstbehaltssätze
(Zitat) „Als angemessener Unterhalt müssen aber auch bei bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen diejenigen Mittel angesehen werden, durch die das Existenzminimum der Eltern sichergestellt werden kann und die demgemäß als Untergrenze des Bedarfs zu bewerten sind (…). Insofern ist es auch nicht rechtsfehlerhaft, wenn zur Ermittlung des so bemessenen Bedarfs auf die in den Unterhaltstabellen enthaltenen, am sozialhilferechtlichen Existenzminimum ausgerichteten Eigenbedarfssätze (…) zurückgegriffen (…) wird (…).“
Anmerkung: Um willkürliche Meinungen zu vermeiden, bietet die Düsseldorfer Tabelle Richtlinien für den eigenen Regelbedarf in Form von Selbstbehaltssätzen. Diese wiederum werden in den OLG-Bezirken über unterhaltsrechtliche Leitlinien übernommen. Die Selbstbehaltssätze bestimmen somit die Grenze der Leistungsfähigkeit. Dabei handelt es sich um Richtwerte, die je nach individuellen Verhältnissen zu Korrekturen führen können. Bei der individuellen Bemessung des Selbstbehalts, die nach ständiger Rechtsprechung des BGH grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters ist, sind zusätzlich die gesetzlichen Vorgaben zu beachten, die sich insbesondere aus dem Wesen der Unterhaltspflicht ergeben (vgl. BGH FamRZ 2009, 307 Rn.23 mwN = NJW-RR 2009, 289).
Selbstbehalt und Art des Unterhalts:
Eine pauschale Grenze der Leistungsfähigkeit gibt es nicht. Weil die gesetzlichen Vorschriften zu den jeweiligen Unterhaltsarten unterschiedliche Anforderungen an die Leistungsbereitschaft des Unterhaltspflichtigen stellen, gelten je nach Unterhaltsart spezifische Selbstbehaltssätze. Der Selbstbehalt, bis zu dem das Einkommen des Unterhaltsschuldners nicht für Unterhaltsleistungen zur Verfügung steht, sind je nach Unterhaltspflicht unterschiedlich hoch.
Fiktives Einkommen zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit:
Die Formel zur Leistungsfähigkeit besagt, dass zunächst das unterhaltsrelevante Einkommen festzustellen ist. Die Einkommensermittlung zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit folgt anderen Regeln als bei der Bedarfsermittlung nach Maßgabe des Einkommens. Auf der Ebene der Leistungsfähigkeit gewinnt die Obliegenheit zur Einkommensoptimierung erheblich an Bedeutung und führt zur möglichen Zurechnung von fiktivem Einkommen. Dahinter steckt die Idee, dass der Unterhaltspflichtige zur Abwehr von Unterhaltspflichten nicht lediglich auf sein (niedriges) Realeinkommen verweisen kann.
Einkommensbereinigung und weitere Unterhaltspflichten:
Treffen den Unterhaltspflichtigen mehrere Unterhaltspflichten gegenüber meheren Unterhaltsberechtigten, können vorrangige Unterhaltspflichten gem. § 1609 BGB Abzugsposition vom Einkommen zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit sein, um die Situation eines Mangelfalls lösen oder einen Haftungsanteil zu bestimmen.
Achtung: Diese Form der Einkommensbereinigung gilt nicht zur Bestimmung des Unterhaltsbedarfs des jeweiligen Unterhaltsberechtigten. Nachrangige Unterhaltsberechtigte können aber die Bedarfsermittlung für vorrangige Unterhaltsberechtigte im Rahmen einer Angemessenheitsprüfung beeinflussen (vgl. Brudermüller, in Palandt, BGB, 74. Aufl., 2015, Rn 32 zu 1609 BGB).
Unterhaltsrelevante Vermögen:Ist kein Einkommen vorhanden, das den Selbstbehalt übersteigt, ist nach der Obliegenheit zur Vermögensverwertung zum Erhalt der Leistungsfähigkeit zu fragen.
Stets muss zunächst die Prüfungsebene „Bedarf“ zu einem möglichen Unterhaltsanspruch führen. Erst, wenn ein Unterhaltsbedarf festgestellt und die Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten bejaht ist, wird anschließend die Leistungsfähigkeit geprüft. Diese Prüfungsreihenfolge zu beachten ist sehr wichtig, wenn Einkommensschwankungen bei der Unterhaltsermittlung zu berücksichtigen sind. Denn Einkommensschwankungen wirken sich auf den jeweiligen Prüfungsebenen sehr unterschiedlich aus. Wir können aus unserer Praxis berichten, dass in diesem Bereich von Anwälten und selbst von Familiengerichten häufig Fehler gemacht werden.
Die Selbstbehaltsätze differenzieren zwischen Eigenbedarf von erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen. Um einen gewissen Anreiz zur Erwerbstätigkeit oder Bonus für Erwerbstätige zu bieten, ist der Selbstbehaltssatz für Erwerbstätige höher. Im Einzelfall kann es hier zum Streit kommen, welcher Satz nun anzuwenden ist:
Anmerkung: Laut einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 19.11.2008 – XII ZR 129/06) wird beim Bezug von Krankengeld der Selbstbehalt eines Erwerbstätigen nicht berücksichtigt. Der erhöhte Selbstbehalt schafft einen Anreiz für Erwerbstätige, ihre Arbeitstätigkeit nicht aufzugeben, und ist Teil der Leistungsfähigkeit. Diese Rechtfertigung entfällt jedoch, wenn der Unterhaltspflichtige nicht erwerbstätig ist oder aufgrund von Krankengeld längere Zeit aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist. Die Tatsache, dass das Krankengeld gemäß § 48 Abs.1 SGB V für dieselbe Krankheit nur zeitlich begrenzt gezahlt wird und gemäß § 50 Abs.1 Nr.1 SGB V nur bis zur krankheitsbedingten Verrentung, hat keinen Einfluss darauf. Ebenso ist die Tatsache, dass sich die Höhe des Krankengeldes am früheren Einkommen orientiert und eine Lohnersatzfunktion hat, nicht relevant.
Der notwendige Selbstbehalt im Rahmen der Leistungsfähigkeit gem. § 1603 Abs.2 BGB stellt sich lt. Ziff. 5 der Anm. zur Düsseldorfer Tabelle im Jahr 2023 im Überblick wie folgt dar:
502 € | Sozialrechtlicher Regelbedarf: Existenzminimumsbericht |
50 € | Pauschale Erhöhung; rechnerisch exakt 48 € |
520 € | Wohnkosten, Warmmiete |
30 € | Ansatz für Versicherungen |
20 € | „Puffer“ |
Das ergibt in Summe 1.120 € für nicht erwerbstätige Eltern. Für den notwendigen Selbstbehalt von erwerbstätigen Eltern wird ein „Erwerbsanreiz“ von 250 € hinzuaddiert (= 1.370 € | 2023); vgl. Martin Menne, zu den Bausteinen der Düsseldorfer Tabelle, in: FF 2023, 12, 19. Ergebnis:
Anmerkung: Der notwendige Selbstbehaltssatz lt. Düsseldorfer Tabelle markiert das dem unterhaltspflichtigen Elternteil belassene Existenzminimum, damit dieser aufgrund von Unterhaltslasten nicht selbst sozialhilfebedürftig wird. Mit dieser Absenkung des angemessenen Eigenbedarfs der Eltern nach § 1603 Abs.1 BGB auf das lediglich Notwendigste wird die gesetzliche Vorgabe des § 1603 Abs.2 BGB (sog. „gesteigerte“ Leistungsfähigkeit der Eltern für den Unterhalt für Minderjährige und Kinder i.S.d. § 1603 Abs.2 S.2 BGB) umgesetzt.
Anmerkung: Der angemessene Selbstbehalt der Eltern markiert die Grenze, ab der der „eigene angemessene Unterhalt“ barunterhaltspflichtiger Eltern i.S.d. 1603 Abs.1 BGB in Gefahr gerät. Er gilt in allen Fällen, in denen die Vorschrift des § 1603 Abs.2 S.1 und S.2 BGB ausnahmsweise nicht greift.
Wenn die Düsseldorfer Tabelle oder die Leitlinien der OLGs Regelsätze zum Selbstbehalt festlegen, bedeutet das normalerweise, dass von einer Person erwartet wird, ihren Lebensunterhalt mit dem angegebenen Geldbetrag aus dem Selbstbehalt zu bestreiten. Die Selbstbehaltsätze basieren auf Berechnungsgrundlagen für den Durchschnittsfall und werden anhand des Existenzminimumberichtsder Bundesregierung ermittelt. Die darin enthaltenen essenziellen Bedarfspositionen sind in § 20 Abs.1 SGB II und § 27a Abs.1 SGB XII aufgeführt. Diese umfassen im Wesentlichen folgende Bedarfspositionen:
Die Aufzählung dieser Bedarfspositionen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und können im individuellen Einzelfall Korrekturen veranlassen.
Korrektur
einkalkulierter Wohnkosten
Die Selbstbehaltssätze der Düsseldorfer Tabelle haben zur Festlegung des notwendigen und angemessenen Eigenbedarfs des Unterhaltspflichtigen die erforderlichen Kosten für Unterkunft einschließlich umlagefähiger Kosten für Heizung (Warmmiete) gesondert ausgewiesen.
Im Jahr 2023 wurden die Wohnkostenansätze im Selbstbehalt deutlich erhöht. Die Wohnkosten stellen seit Jahren bereits das „Sorgenkind“ der Düsseldorfer Tabelle dar: Denn unter den verschiedenen Einzelpositionen des Selbstbehalts stellen sie nach wie vor die bedeutsamste und einzige variable Größe dar, die sich zudem nicht sachgerecht pauschalieren lässt (Menne, FF 2023, 12, 18).
Tatsächlich variieren die Kosten der Unterkunft im bundesweiten Vergleich unverändert extrem stark: Gerade im Ballungszentren stimmt der Wohnbedarfssatz nicht mit der Realität der Wohnkosten überein. Die Selbstbehaltsätze bauen auf der Grundvorstellung auf, dass der Unterhaltspflichtige allein zur Miete wohnt. Dies gibt Anlass, an die Erhöhung des Selbstbehaltssatzes, angepasst an die Mietkosten, zu denken.
Wann ist eine Korrektur des Selbstbehaltssatzes wegen hoher Mietkosten veranlasst?
Korrekturen sind nur zulässig und veranlasst, wenn aufgrund hoher Mietkosten eine Mangelfallberechnung angezeigt ist.
OLG Saarbrücken, Beschluss vom 23.02.2021 – 6 UF 160/20
Erhöhter Mietaufwand des Unterhaltspflichtigen | Mangelfall droht
Leitsatz: Erhöhter Mietaufwand des Unterhaltsverpflichteten (hier: in Frankfurt) rechtfertigt keine Kürzung des unterhaltsrechtlichen Einkommens. Der Wohnkostenanteil, der in die Selbstbehaltssätze der Düsseldorfer Tabelle eingearbeitet ist, ist lediglich im Mangelfall von Bedeutung; ansonsten ist der Mietaufwand allgemeiner Lebensbedarf, den der Unterhaltspflichtige aus den ihm nach Unterhaltszahlung verbleibenden Einkünften zu bestreiten hat.
Obliegenheit zur Reduzierung der Wohnkosten:
Der Selbstbehalt soll erhöht werden, wenn die Wohnkosten (Warmmiete) den ausgewiesenen Betrag übersteigen und nicht unangemessen sind. Dies ist auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung verankert. Danach kann im Einzelfall eine Erhöhung des Selbstbehalts nur infrage kommen, wenn der darin enthaltene Wohnkostenanteil – nach den Umständen nicht vermeidbar – überschritten wird (BGH, Beschluss vom 9.3.2016 – XII ZB 693/14, m. Anm. Seiler = FF 2016, 254 m. Anm. Engels).Soweit die Beantragung von Wohngeld möglich ist, etwa ab Ende des Bezugs von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (vgl. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 WoGG) trifft den Unterhaltspflichtigen die Obliegenheit, sich ihm mögliche und zumutbare Einkommensquellen zu erschließen, was in erhöhtem Maße im Mangelfall gilt (zur Obliegenheit Wohngeld zu beantragen vgl. BGH, Beschluss vom 28.10.2020 – XII ZB 512/19, Rn 18).Da es insoweit um die Frage der eingeschränkten Leistungsfähigkeit im Sinne des § 1603 BGB geht, hat der Unterhaltsschuldner mit erhöhten Wohnkosten darzulegen und zu beweisen, dass er dieser Obliegenheit nachgekommen ist (vgl. Wendl/Dose/ Klinkhammer, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 2 Rn. 392). Wer hier zum Erfolg kommen will, muss nachweisen, welchen Mietzins er tatsächlich zahlt (mit Mietvertrag und Zahlungsbelegen) und sich erfolglos um billigeren Wohnraum bemüht hat (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 09.05.2019 – 5 UF 141/17 – intern vorhanden zu Az.: 9/16).
Anteilige Berücksichtigung der Wohnkosten:
Fallen Wohnkosten nicht nur für den Unterhaltspflichtigen an, sondern decken diese auch den Wohnbedarf seiner weiteren Familienmitglieder (Ehefrau und Kinder), werden beim Kindesunterhalt die vom Unterhaltspflichtigen für den Familienverband getragenen Wohnkosten nur anteilig berücksichtigt (BGH, Beschluss vom 28.10.2020 – XII ZB 512/19; Wendl/Dose/ Gerhardt, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Aufl. § 1 Rn. 469; Wendl/Dose/Guhling, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Aufl. § 5 Rn. 27).
Die Selbstbehaltsätze gehen davon aus, dass es keinen Lebenspartner gibt, bei dem der Unterhaltsschuldner lebt oder gegen diesen einen Unterhaltsanspruch zur Deckung seines Lebensbedarfs geltend machen kann. Sobald einer dieser Umstände gegeben ist, ist eine Herabsetzung des Selbstbehaltssatzes der Düsseldorfer Tabelle angezeigt und durchzuführen. Folgende Fallgruppen sind in der Praxis häufig anzutreffen:
Kann der Unterhaltsschuldner unter Berücksichtigung seines Eigenbedarfs nicht alle Unterhaltsansprüche mehrerer Unterhaltsgläubiger vollständig erfüllen (Mangelfall), so zeigt sich ein rechtlich zu lösender Verteilungskampf: Wer bekommt ein Stück vom Kuchen? Irgendwann wird die wirtschaftliche Situation erreicht, in der nicht mehr alle Unterhaltsberechtigten den vollen Unterhalt erhalten können, weil dazu ausreichend Geld über der Schwelle zum Selbstbehalt fehlt. Das kann dazu führen, dass vorrangige Unterhaltsberechtigte etwas von der vorhandenen Verteilungsmasse erhalten und nachrangige Unterhaltsberechtigte leer ausgehen.
Heinrich Schürmann (Unterhalt – Entscheidungen zwischen Not und Elend, in: FamRZ 2022, 1009) äußert sich anhand der Düsseldorfer Tabelle 2022 zum Mangelfall, der in den ersten beiden Einkommensgruppen fast schon zum Regelfall wird (Zitat): „Bei der unterstellten Familienkonstellation mit zwei Unterhaltsberechtigten genügt der Eingangsbetrag von 1.900 Euro schon heute nicht mehr, um den Unterhalt für zwei ältere Kinder unter Wahrung des notwendigen Selbstbehalts aufzubringen. Es wären noch weit mehr Fallgestaltungen, wenn der notwendige Selbstbehalt nicht nochmals bei 1.160 Euro eingefroren worden wäre, sondern der sich bereits im Herbst letzten Jahres abzeichnenden Preissteigerung angemessen Rechnung getragen hätte. Nun ist die Absenkung auf den notwendigen Selbstbehalt die auf den Mangelfall begrenzte Ausnahme – als Regelfall kann ein Unterhaltspflichtiger auch im Verhältnis zu seinen minderjährigen Kindern die Wahrung seiner angemessenen Lebensverhältnisse behaupten (§ 1603 Abs. 1 BGB).
Gegenwärtig bedarf es eines bereinigten Nettoeinkommens zwischen 1.980 und 2.250 Euro, damit der Mindestbedarf für zwei Kinder aufgebracht werden kann. Mit anderen Worten: Der auf den Unterhalt für zwei Kinder ausgelegte Bezugsrahmen postuliert in der zweiten Einkommensgruppe einen Bedarf, der in einen Mangelfall führt und damit in jedem Fall zu korrigieren ist.”
Erster Schritt – Bedarfsermittlung:
Um einen Mangelfall erstmal festzustellen, ist für alle Unterhaltsberechtigten der Unterhalt nach den üblichen Bedarfsermittlungsmethoden durchzuführen.
Ist nach Ermittlung des Bedarfs und der Bedürftigkeit aller Unterhaltsberechtigter festzustellen, dass die Verteilungsmasse des Unterhaltspflichtigen zur Erfüllung aller Unterhaltspflichten nicht ausreicht, ist ein Mangelfall gegeben.
Die Situation greift § 1609 BGB auf und erklärt, dass es ein Rangverhältnis unter den Unterhaltsgläubigern gibt. Erst, wenn ein Mangelfall vorliegt, wird § 1609 BGB relevant und führt dazu, dass vorrangige Unterhaltsgläubiger den nachrangigen Unterhaltsgläubigern den „Weg zum Kuchen“ versperren. § 1609 BGB erklärt nach seinem Wortlaut, welche Unterhaltspflichten in welcher Reihenfolge bis zur Grenze des dem Unterhaltspflichtigen zu belassenden Selbstbehalts voll zu erfüllen sind.
Zweiter Schritt – Rangfragen klären mit § 1609 BGB:
BGH, Beschluss vom 01.10.2014 – XII ZB 185/13
Zum Rangverhältnis zwischen Ehegattenunterhalt und Betreuungsunterhalt für neue Lebenspartnerin
Leitsatz:
Besteht ein Teilunterhaltsanspruch auf Betreuungsunterhalt und ein weiterer Teilanspruch aufgrund eines anderen Unterhaltstatbestands, unterfällt der Gesamtanspruch [der neuen Lebenspartnerin] dem Rang des § 1609 Nr.2 BGB.
§ 1609 BGB (Gesetzestext):
Sind mehrere Unterhaltsberechtigte vorhanden und ist der Unterhaltspflichtige außerstande, allen Unterhalt zu gewähren, gilt folgende Rangfolge:
Einkommensbereinigung im Rahmen der Bedarfsermittlung
Es gilt zu beachten, dass § 1609 BGB keine Vorschrift ist, die für die Bedarfsermittlung von Bedeutung ist. Deshalb kann die Unterhaltsschuld gegenüber vorrangigen Unterhaltsschuldnern keine Abzugsposition vom Einkommen des Unterhaltspflichtigen für die Bedarfsermittlung nachrangiger Unterhaltsschuldner sein, soweit dies nicht bereits im Rahmen der üblichen Bedarfsermittlungsmethoden höchstrichterlich anerkannt ist (z.B. beim Ehegattenunterhalt: Abzug aller Kindesunterhaltslasten zur Einkommensbereinigung des Einkommens der Ehegatten).
Mithilfe des § 1609 BGB findet ausschließlich auf der Ebene der Ermittlung der Leistungsfähigkeit eine Mangelfall-Korrekturrechnung statt.
Erst wenn der Unterhaltsbedarf der nach § 1609 Ziff.1 BGB vorrangigen Kinder gedeckt ist (Rangstufe 1), kann ein nachrangiger Unterhaltsberechtigter der Rangstufe 2 (§ 1609 Ziff. 2 BGB: Ehegatte, Mutter oder geschiedener Ehegatte) zum Zug kommen.
OLG Hamm, Beschluss vom 21.11.2012 – II-8 UF 14/12
Darlegungslast für Leistungsunfähigkeit
Anmerkung: Der Unterhaltsschuldner hat sämtliche unterhaltsrelevanten Umstände darzulegen, wenn er sich gegen den Unterhaltsanspruch mit Berufung auf Leistungsunfähigkeit wehren will. Dazu ist er gezwungen, seine wirtschaftlichen Verhältnisse offenzulegen. Trägt der Unterhaltspflichtige zu seiner Leistungsfähigkeit im Unterhaltsverfahren nichts vor, wird ihm unbegrenzte Leistungsfähigkeit unterstellt.