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Hauptelemente des Kindschaftsrechts sind Fragen zum > Umgang und > Sorgerecht. Internationale Vorschriften verwenden dazu den Sammelbegriff “elterliche Verantwortung“. Der häufigste Fall des Eingriffs in die “elterliche Verantwortung” mit internationaler Dimension ist die > Kindesentführung über die Landesgrenzen. Sofort tauchen Fragen auf, welcher Staat (Ursprungsstaat oder Verbringungsstaat) sich mit dem Thema zu befassen hat. Bei Kindesentführungen innerhalb der Europäischen Union ist die Frage über europäischen Regeln und Verordnungen zur internationalen Zuständigkeit und zur Anwendung nationaler Vorschriften zu beantworten. Die Krux dabei ist: auf internationaler Ebene zeigt sich ein Bild von mehreren ineinander greifenden und sich überlagernden Rechtsvorschriften. Es gibt auf internationaler Ebene kein einheitliches Regelwerk mit dem sich Fragen der internationalen Zuständigkeit und der daraus folgenden gerichtlichen Kompetenzen klären lassen. Für jede familienrechtliche Angelegenheit ist gesondert zu prüfen, welche internationale Abkommen gelten und in welcher abgestuften Reihenfolge sie zur Anwendung kommen. Allein zum Thema internationaler Kindesentführung können bis zu fünf unterschiedliche internationale Abkommen zu beachten sein. Die Abkürzungsbezeichnungen für die internationalen Abkommen werden von Gerichten und Fachautoren nicht einheitlich (und schon gar nicht international einheitlich) verwendet.
Eine umfassende Darstellung der teilweise diffusen Rechtslage können Sie hier nicht erwarten. Selbst Fachleute benötigen mehrere Stunden, um alle Weichenstellungen im Einzelfall richtig einzuordnen und zu sortieren. Geht es um > Umgangsrecht und > Sorgerecht bei internationalem Bezug, existieren Rechtsgrundlagen zur internationalen Zuständigkeit in dieser Reihenfolge:
Immer dann, wenn ein Elternteil ohne alleiniges Aufenthaltsbestimmungsrecht den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, und dabei unbefugt das Mitsorgerecht des anderen Elternteils eigenmächtig verletzt, kann von einer internationalen Kindesentführung i.S.d > Art. 3 HKÜ gesprochen werden. Europäische Vorschriften sehen für den mitsorgeberechtigten Elternteil einen Anspruch auf Rückführung des Kindes vor. Dies erfolgt über die Einschaltung der sog. “zentralen Behörde” (Art. 7 ff HKÜ). Das AG Düsseldorf, Beschluss vom 01.05.2015 – > 258 F 65/15 (intern vorhanden: unser Az.: 97/ 15 ) geht ausführlich darauf ein, wann eine Kindesentführung im Sinne des > HKÜ (europäische Verordnung) vorliegt. Liegt ein Fall der > internationalen Kindesentführung vor, d ann gelten vorrangig spezielle europäische Ubereinkommen:
Art. 21 HKÜ : Der Antrag auf Durchführung oder wirksame Ausübung des > Rechts zum persönlichen Umgang kann in derselben Weise an die zentrale Behörde eines Vertragsstaats gerichtet werden wie ein Antrag auf Rückgabe des Kindes. Die zentralen Behörden haben aufgrund der in Artikel 7 genannten Verpflichtung zur Zusammenarbeit die ungestörte Ausübung des Rechts zum persönlichen Umgang11sowie die Erfüllung aller Bedingungen zu fördern, denen die Ausübung dieses Rechts unterliegt. Die zentralen Behörden unternehmen Schritte, um soweit wie möglich alle Hindernisse auszuräumen, die der Ausübung dieses Rechts entgegenstehen. Die zentralen Behörden können unmittelbar oder mit Hilfe anderer die Einleitung eines Verfahrens vorbereiten oder unterstützen mit dem Ziel, das Recht zum persönlichen Umgang12durchzuführen oder zu schützen und zu gewährleisten, dass die Bedingungen, von denen die Ausübung dieses Rechts abhängen kann, beachtet werden.
Handelt es nicht um einen Fall internationaler Kindesentführung, sind nachrangig folgende europäische Übereinkommen maßgebend :
Werden Elternrechte wegen internationaler Kindesentführung geltend gemacht, so bieten sich zwei Verfahrenswege an. Entweder werden “zentrale Behörden” (Art. 7 ff HKÜ) eingeschaltet oder es wird der direkte Gang zum Familiengericht gewählt (Art. 29 HKÜ). Welches Gericht international zuständig ist, wird sich im Regelfall aus den Art. 8 bis Art. 14 der > Brüssel IIa-VO ergeben, sofern nicht Art. 12 und 16 der > HKÜ davon abweichendes regeln. Für die internationale Zuständigkeit in Fällen von Kindesentführung gilt Art. 10 > Brüssel IIa-VO .
Nach welchem nationalen Recht (Statut) in der Kindschaftssache selbst zu entscheiden ist, wird sich auf der Grundlage des am 01.01.2011 in Kraft getretenen Haager Kinderschutzübereinkommens (> Art. 15 ff KSÜ) entscheiden, das das Haager Minderjährigenschutzabkommen ( MSA) abgelöst hat (dazu Schulz, FamRZ 2011, 156 ff.). Nach dem > HKÜ / KSÜ entscheidet im Regelfall der (jetzige) gewöhnliche Aufenthalt des Kindes über die Anwendung des nationalen Statuts. Bei nachfolgender Entscheidung handelt es sich um die wohl die erste Entscheidung des BGH auf Grundlage des > HKÜ /KSÜ. Die Entscheidung ist richtungsweisend für wichtige Fragen des internationalen > Sorgerechts.
BGH, Beschluss vom 16.03.2011 – XII ZB 407/10 Welches nationale (Sorge-)Recht ist anwendbar?
(Zitat, Rn 31 ff.) “Gemäß Art. 53 Abs. 1 KSÜ ist das Übereinkommen auf Maßnahmen anzuwenden, die in einem Staat getroffen werden, nachdem das Übereinkommen für diesen Staat in Kraft getreten ist. In der Bundesrepublik Deutschland ist das Übereinkommen am 1. Januar 2011 in Kraft getreten (BGBl II 2010, 1527). Da es vorliegend nicht um die Anerkennung oder Vollstreckung von Maßnahmen, sondern vielmehr um die Frage des anwendbaren Rechts geht und das Revisionsgericht das zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgebliche Recht anzuwenden hat, ist das Kinderschutzübereinkommen auf die vom Senat zu treffende Entscheidung anzuwenden (zum vergleichbaren Fall des Inkrafttretens des Haager Minderjährigenschutzabkommens BGH Beschluss vom 20. Dezember 1972 – IV ZB 20/72 – NJW 1973, 417 f.). Nach Art. 16 Abs. 1 KSÜ bestimmt sich die Zuweisung oder das Erlöschen der elterlichen Verantwortung kraft Gesetzes ohne Einschreiten eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde nach dem Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes. Damit ist das Statut durch Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts ex nunc wandelbar (Finger FamRBint 2010, 95, 99; Schwarz NDV 2011, 39, 40). Da das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, ist somit deutsches Recht anwendbar.”
Noch bevor es zur Kindesentführung kommt, sollte bei Verdacht einer drohenden Ausreise im Wege eines einstweiligen Anordnungsverfahrens die mögliche Ausreise unterbunden werden. Sowohl ein Ausreiseverbot als auch eine Grenzsperre kann beantragt werden. Hierzu ein Beispiel:
Anmerkung : Rechtsgrundlage für ein gerichtliches Ausreiseverbot ist § -> 1666 BGB. die Entscheidung zeigt einmal mehr, dass zur behaupteten dauerhaften Ausreiseabsicht – insbesondere Zeitpunkt, Ort, Ablauf eines Gesprächs dazu – sehr konkret vorgetragen werden sollte. Zur effektiven Gefahrenabwehr gehört auch ein Ersuch der Bundespolizei um präventivpolizeiliche Maßnahmen nach § 30 Abs.3, Abs.5, 39 Abs. 2 BPolG (Grenzsperre). Grenzschutzbehörden sind danach ermächtigt, personenbezogene Daten in den Fahndungsbestand des polizeilichen Informationssystems aufzunehmen. Wird ein Ausreiseverbot oder eine Grenzsperre erreicht, kann man sich u.U. ein schwieriges Verfahren zur Kindesrückführung ersparen. Dazu
AG Düsseldorf, Beschluss vom 01.05.2015 – 258 F 65/15 (nicht veröffentlicht, intern vorhanden: unser Az.: 97/ 15 ) Voraussetzungen für eine Kindesrückführung nach HKÜ/KSÜ
Dem Gericht lag ein Fall der Kindesentführung von Österreich nach Deutschland zu Grunde. Das Familiengericht geht ausführlich darauf ein, wann eine Kindesentführung im Sinne der europäischen Verordnung vorliegt. Trotz Kindesentführung kann es Versagungsgründe gegen den Antrag auf Kindesrückführung geben. Das AG Düsseldorf wendete als Versagungsgrund Art.13 Abs.1 a) HKÜ (“nachträgliche Genehmigung“) an. Eine Rückführungsanordnung darf nicht erfolgen ( Versagungsgründe) darf nicht erlassen werden, wenn die (“kindesentführende“) Person (Elternteil) nachweist, dass
Bei Würdigung der in Art. 13 > HKÜ /KSÜ genannten Umstände hat das Gericht oder die Verwaltungsbehörde die Auskünfte über die soziale Lage des Kindes zu berücksichtigen, die von der zentralen Behörde oder einer anderen zuständigen Behörde des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes erteilt worden sind.
Sachverhalt: Die gemeinsam sorgeberechtigte Eltern eines 2012 geborenen Kindes wohnten bis Ende Februar 2015 in den Niederlanden. Ende des Monats verreiste die Mutter mit dem Kind nach Deutschland, um dort den Urlaub zu verbringen. Im April 2015 teilte sie dem Vater mit, dass sie sich dort für immer niederlassen wird. Der Vater beantragte daraufhin entsprechend dem Haager Kindesentführungsübereinkommen und dem IntFamRVG vor dem AG Bamberg die Rückführung des Kindes in die Niederlande. Mit Beschluss vom 17.9.2015 wurde die Mutter durch das zuständige AG verpflichtet, das Kind binnen zwei Wochen in die Niederlande zurückzubringen. Am 2.10.2015 legte die Mutter über ihren Rechtsbeistand Beschwerde gegen den Rückführungsbeschluss ein. Sie wandte ein, dass sie zwischenzeitlich vor dem zuständigen niederländischen Gericht die Übertragung des alleinigen Sorgerechts für das gemeinsame Kind beantragt habe. Da die Entscheidung über das Sorgerecht das Aufenthaltsbestimmungsrecht beinhaltet, müsse die Vollstreckung des Rückführungsbeschlusses so lange ausgesetzt werden, bis die Entscheidung des Familiengerichts vorliege. Ansonsten bleibt die Beschwerde zum Zeitpunkt der Antragsstellung unbegründet. Die Mutter bat insofern darum, die Frist für die Begründung ihrer Beschwerde bis zum 15.11.2015 zu verlängern. Am 16.11.2015 reichte sie die Begründung zur Beschwerde nach. Die Beschwerde, wie auch der Antrag, blieben erfolglos.
Anmerkung: Das OLG weist die Beschwerde als unzulässig zurück, da sie nicht fristgerecht begründet wurde. Mit dieser Entscheidung grenzt sich das Gericht von der Rechtsauffassung des OLG Stuttgart (Beschl. v. 31.7.2015 – 17 UF 127/15, bespr. v. Schmid, NZFam 2015, 1032) ab. Grund dafür sei ein unterschiedliches Verständnis des § -> 40 Abs.2 S.2 IntFamRVG . Die Beschwerde sei danach innerhalb von zwei Wochen einzulegen und zu begründen. Das OLG Stuttgart versteht die Beschwerdefrist und das Begründungserfordernis als alternative Voraussetzungen. Entsprechend müsse die Begründung nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist erfolgen. Das OLG Bamberg liest die Voraussetzungen dagegen verschränkt, und folgert, dass auch die Begründung innerhalb der Beschwerdefrist erfolgen muss. Ein nicht oder unvollständig begründeter Antrag wird also zurückgewiesen.
Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 . Diese Verordnung hat die Brüssel II-VO [EG] Nr. 1347/2000 seit dem 01.03.2005 abgelöst. Zum Verordnungstext
> hier
Durch die Brüssel IIb-VO ist die derzeit noch geltende Verordnung (EG) 2201/2003 des Rates v. 27.11.2003 ( Brüssel IIa-VO) ersetzt worden. Die Brüssel IIb-VO wird am 1.8.2022 in allen EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks in Kraft treten. Sie enthält im Wesentlichen unmittelbar geltendes Unionsrecht, das keiner besonderen Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber bedarf. Zu den wesentlichen Änderungen, Klinkhammer, in: FamRZ 2022, 325.