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(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.(2) In der Regel ist anzunehmen, dass das Vermögen des Kindes gefährdet ist, wenn der Inhaber der Vermögenssorge seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind oder seine mit der Vermögenssorge verbundenen Pflichten verletzt oder Anordnungen des Gerichts, die sich auf die Vermögenssorge beziehen, nicht befolgt.
(3) Zu den gerichtlichen Maßnahmen nach Absatz 1 gehören insbesondere
1. Gebote, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen,
2. Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen,
3. Verbote, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung oder eine andere Wohnung zu nutzen, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten oder zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält,
4. Verbote, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen,
5. die Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge,
6. die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.
(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen.
BGH, Beschluss vom 23.11.2016 – XII ZB 149/16
Kindeswohlgefährdung – Staatlicher Eingriff und Maßnahmen
Leitsätze:
a) Eine Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 1666 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr festgestellt wird, dass bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerer der drohende Schaden wiegt.
b) Die Aufzählung der Ge- und Verbote in § 1666 Abs. 3 BGB ist nicht abschließend, so dass auch andere zur Abwendung der Gefahr geeignete Weisungen in Betracht kommen. Soweit diese einen erheblichen Eingriff in Grundrechte der Betroffenen bedeuten, ist die Regelung in § 1666 Abs. 1 und 3 BGB nur dann eine ausreichende Grundlage, wenn es sich um die in § 1666 Abs. 3 BGB ausdrücklich benannten oder diesen vergleichbaren Maßnahmen handelt.
c) Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer gerichtlichen Maßnahme nach § 1666 BGB ist auch das Verhältnis zwischen der Schwere des Eingriffs in die elterliche Sorge und dem Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts für das Kind zu beachten. Die – auch teilweise – Entziehung der elterlichen Sorge ist daher nur bei einer erhöhten Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, nämlich ziemlicher Sicherheit, verhältnismäßig (Fortführung von Senatsbeschluss vom 26. Oktober 2011 – XII ZB 247/11 – FamRZ 2012, 99).
Anmerkungen: Ist das geistige, seelische oder körperliche Wohl von Kindern durch das Verhalten der sorgeberechtigten Eltern gefährdet, obliegt es dem Staat, die Kinder zu schützen. § 1666 BGB, die zentrale Vorschrift des zivilrechtlichen Kinderschutzes, ermöglicht es den Familiengerichten in solchen Fällen in das Sorgerecht der Eltern einzugreifen.
Grundsätzlich alles, was der seelischen und körperlichen Gesundheit eines Kindes schadet oder diese bedroht, kann als Kindeswohlgefährdung verstanden werden. Zum Schutz der Kinder können Gerichte einen ganzen Katalog von Maßnahmen ergreifen. Dabei unterliegen alle Maßnahmen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, d.h. es darf nur die zur Beseitigung der Kindeswohlgefahr erforderliche Maßnahmen ergriffen werden. Es ist stets zu prüfen, ob die jeweilige Maßnahme auch den mildesten Eingriff in das elterliche Sorgerecht darstellt. Eingriffe nach § 1666 BGB in das Elternrecht kommen danach immer nur dann in Betracht, wenn von einer konkreten Gefahr für das Kind auszugehen ist. Eingriffe in das Sorgerecht, um eine optimale Förderung zu erzwingen, sind hingegen vom Kinderschutzrecht – auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts – nicht von dem Wächteramt erfasst (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 22.12.2022 – 2 UF 122/22).
Mit Wirkung zum 1.7.2021 besteht in Kindschaftssachen eine grundsätzliche und altersunabhängige Pflicht zur persönlichen Anhörung des Kindes, von der in Kinderschutzverfahren nach §§ 1666, 1666a BGB nur aus schwerwiegenden Gründen abgesehen werden kann. Diese Regelung dient nicht nur der Amtsermittlung, sondern ist der Subjektstellung des Kindes in diesen grundrechtsrelevanten Verfahren geschuldet. In zweiter Instanz ist die erneute Anhörung des Kindes nunmehr in Kinderschutzverfahren, beim Umgangsausschluss und in Fällen einer Verbleibensanordnung zwingend erforderlich.
AG Kaufbeuren, Beschluss vom 15.01.2021 – 3 F 27/21
Entzug des Sorgerechts wegen Elternstreit ohne Sachverständigengutachten – Beispiel für einen Justizskandal
Anmerkung: Das AG Kaufbeuren hat hier das Sorgerecht den Eltern auf Antrag des Jugendamts im Wege der einstweiligen Anordnung (!) – gestützt auf §§ 1666, 1666a BGB – entzogen, weil die Eltern im Zuge ihrer Trennung und Scheidung derart heftig (egoistisch) streiten, dass – nach Auffassung des selbstherrlichen Richters – der Streit auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werde, somit eine erhebliche Gefahr für das Wohl des Kindes zu befürchten sei. Ein Gutachten zur fachkundigen Beurteilung der Gefahr des Elternstreits für das Kindeswohl hat das AG Kaufbeuren nicht eingeholt. Der gerichtlich beschlossene Sorgerechtsentzug wurde durch Herausgabe-Beschluss gegen den Elternteil vollstreckt, in dessen Obhut sich das Kind befand.
Nach unserer Auffassung ist das ein Justiz-Skandal aus der Allgäuer Provinz vor dem Familiengericht Kaufbeuren. Aus eigener Erfahrung ist der dort zuständige Richter am Familiengericht berühmt und berüchtigt für seine Fehlentscheidungen. Das OLG München musste einschreiten. Trotz Eilverfahren kam das Kind erst nach 17 Monaten wieder zurück zu seinem Vater.
Sorgerechtsentzug ohne fachkundiges Gutachten nur in extremen Ausnahmefällen:
Denn nur bei offensichtlich traumatisierenden Verhalten der Eltern, d.h. bei zuverlässiger Entscheidungsgrundlage, kann ein Richter sich auf eigene Sachkunde berufen und ohne Gutachten wegen Kindeswohlgefährdung den Sorgerechtsentzug anordnen (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 3.8.2020 – 13 UF 64/19: im Fall des OLG hatte der Vater die Mutter des Kindes ermordet, weshalb der Vater zu lebenslanger Haft verurteilt wird).
OLG München, Beschluss vom 03.08.2022 – 4 UF 521/22
Entscheidung des AG Kaufbeuren zum Entzug des Sorgerechts wird aufgehoben
(Zitat) „§ 1666 BGB ist eine Ausprägung des dem Staat gemäß Art. 6 Abs. 2 S.2 GG obliegenden Wächteramtes, das dem Schutz des Kindes bei Gefährdung seines Wohls dient. Im Hinblick darauf, dass staatliche Maßnahmen insoweit auch die Grundrechte der Eltern nach Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 GG tangieren, stellt insbesondere das Bundesverfassungsgericht hohe Anforderungen für staatliche Eingriffe in die elterliche Personensorge (BVerfG FamRZ 2016, 439; FamRZ 0215,122; 2012,1127). Eine gerichtliche Maßnahme nach § 1666 Abs.1 BGB setzt demgemäß zunächst die positive Feststellung voraus, dass bei weiterer Entwicklung der vorliegenden Umstände der Eintritt eines Schadens zum Nachteil des Kindes mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten ist. Die bloße Besorgnis künftiger Gefährdungen genügt nicht (BVerfG FamRZ 2014, 907; OLG Hamm NZFam 2014,572). Es gehört auch nicht zum staatlichen Wächteramt, für eine bestmögliche Förderung des Kindes und seiner Fähigkeiten zu sorgen, sondern die staatlichen Organe haben sich von der Erwägung leiten zu lassen, dass die Interessen des Kindes in aller Regel am besten von den Eltern wahrgenommen werden. Aufgabe des Staates ist es daher nicht, die im Interesse des Kindeswohls objektiv beste Art der Sorgerechtsausübung sicherzustellen, sondern staatliche Maßnahmen können erst dann ergriffen werden, wenn die Eltern ihrer Verantwortung nicht gerecht werden (BVerfG FamRZ 2017, 1577; NJW 2014, 2936). Eingriffe in das elterliche Sorgerecht dürfen zudem nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen (BVerfG FamRZ 2009,1427; FamRZ 2012,1092). Die Eingriffe dürfen nur so weit gehen, wie es im Kindesinteresse erforderlich ist (BverfG FamRZ 2002, 1021; 2014, 1772; KG FamRZ 2016,614). […] Die angefochtene Entscheidung benennt in ihrer Art und Häufigkeit auffällige Verhaltensweisen und Einstellungen des Vaters gegenüber der Mutter, den Gerichten sowie den beteiligten Institutionen. Ob und wie sich diese auf das Kind nachteilig ausgewirkt haben oder künftig auswirken könnten, wird hingegen nicht konkret erläutert. Der allgemein gehaltene Hinweis, dass das Verhalten des Vaters sich kindeswohlschädigend auswirkt, ohne eine bestehende oder drohende Schädigung nach ihrer Art, Schwere und Eintrittsschwelle näher zu benennen und zu bewerten, reicht nicht aus (BVerfG FamRZ 2015,112). Als nicht tragfähig erweist sich auch die Feststellung, dass es dem Vater nicht gelingt, auf Elternebene mit der Mutter zu kommunizieren und zu kooperieren. Konflikte zwischen den Eltern, Defizite in der elterlichen Kommunikation oder eine Abwertung des anderen Elternteils stellen für sich genommen keine Fehlhandlung oder ein Erziehungsunvermögen eines Elternteils dar. Allein damit lässt sich die Annahme einer Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 1666 BGB und ein Eingriff in das Sorgerecht nicht rechtfertigen. Gravierende Kommunikations- und Kooperationsdefizite zwischen den Eltern können vielmehr Anlass für eine Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und die Übertragung der vollen oder partiellen Alleinsorge auf einen Elternteil (§ 1671 BGB) sein. Nach den Umständen sind – ebenfalls abweichend von den Empfehlungen des Jugendamtes, des Vormunds und des Verfahrensbeistands – auch keine anderen nach § 1666 BGB für einen Sorgerechtsentzug des Vaters erforderlichen Anzeichen für eine konkrete Gefahr für das Wohl des Kindes erkennbar.”
Anmerkung: Trotz gesetzlichem Beschleunigungsgebot (§ 155 FamFG) wird der gerichtliche Entzug des Sorgerechts des Vaters im Wege der einstweiligen Anordnung erst nach 17 Monaten (!) vom OLG München wieder aufgehoben. Das Kind musste in dieser Zeit im Kinderheim leben und schrieb dem Gericht:
„Ich halte es hier einfach nicht mehr aus.
Bitte helfen Sie mir! Es ist schrecklich!
Ich will wieder zurück zu meinem Vater nach Hause!!“
(Zitat) “Grundsätzlich kann das Gericht zwar Maßnahmen nach § 1666 BGB von Amts wegen ergreifen, wenn diese im Interesse des Kindeswohls erforderlich sind. Die Voraussetzungen hierfür sind vorliegend jedoch nicht gegeben. Maßnahmen nach § 1666 Abs. 1 BGB sind zu treffen, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes oder sein Vermögen gefährdet wird. § 1666 BGB ist eine Ausprägung des dem Staat gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG obliegendem Wächteramtes, das dem Schutz des Kindes bei Gefährdung seines Wohls dient. Im Hinblick darauf, dass staatliche Maßnahmen insoweit immer auch die Grundrechte der Eltern nach Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG tangieren, stellt insbesondere das Bundesverfassungsgericht hohe Anforderungen für staatliche Eingriffe in die elterliche Personensorge (ständige Rechtsprechung vgl. Bundesverfassungsgericht FamRZ 2016, 439, FamRZ 2015, 112, FamRZ 12, 1127, FamRZ 14, 907, 1177 jeweils m.w.N.). Eine gerichtliche Maßnahme nach § 1666 Abs. 1 BGB setzt demgemäß zunächst die positive Feststellung voraus, dass bei weiterer Entwicklung der vorliegenden Umstände der Eintritt eines Schadens zum Nachteil des Kindes mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten ist, die bloße Möglichkeit des Schadenseintritts rechtfertigt eine eingreifende Maßnahme nicht. (vgl. Poncelet/Onstein in Herberger/Martinek-Rüßmann, Juris Praxiskommentar zum BGB, 8. Aufl., § 1666 Rdn. 20). Es gehört insoweit nicht zum staatlichen Wächteramt, für eine bestmögliche Förderung des Kindes und seiner Fähigkeit zu sorgen, sondern die staatlichen Organe haben sich von der Erwägung leiten zu lassen, dass die Interessen des Kindes in aller Regel am besten von den Eltern wahrgenommen werden, und zwar auch dann, wenn dabei im Einzelfall wirkliche oder vermeintliche Nachteile des Kindes durch bestimmte Verhaltensweisen oder Entscheidungen der Eltern in Kauf genommen werden müssen. Aufgabe des Staates ist es daher nicht, die im Interesse des Kindeswohls objektiv beste Art der Sorgerechtsausübung – soweit eine solche überhaupt festgestellt werden kann – sicherzustellen, sondern staatliche Maßnahmen können erst dann ergriffen werden, wenn die Eltern ihrer Verantwortung nicht gerecht werden (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13. Juli 2017- 1 BvR 1202/17; Beschluss vom 14. Juni 2014 – 1 BvR 725/14). Bei der Anwendung des § 1666 BGB ist der verfassungsrechtlich abgesicherte Elternvorrang zu beachten, d.h. familiengerichtliche Eingriffe sind selbst bei Gefährdung des Kindeswohls nur zulässig, wenn festgestellt werden muss, dass die Eltern auch künftig nicht bereit oder in der Lage sind, eingetretene Gefährdungen abzuwenden (vgl. Coester in Staudinger/ Kommentar zum BGB 2016, § 1666 BGB Rdn. 169 ff. m.w.N.). Dieser Subsidiaritätsvorbehalt, der Eingriffen nach §§ 1666 BGB demgemäß immanent ist, wurde vom Amtsgericht im hier zugrundeliegenden Verfahren bei der Anordnung der Auflagen nach § 1666 Abs.3 BGB nicht hinreichend beachtet.“