Sind Kinder mit eigenem Einkommen unterhaltsbedürftig?


Das Wichtigste in Kürze

  1. Bedürftigkeit tritt ein, wenn eine Person, die Anspruch auf Unterhalt hat, nicht in der Lage ist, sich aus ihrem eigenen Einkommen (Arbeitseinkommen/Vermögenseinkünfte) und ihrem Vermögen selbst zu versorgen. Bedürftigkeit beschreibt den fehlenden Betrag, um den Bedarf des Berechtigten zu decken.
  2. Dieser Grundsatz gilt auch für Kinder mit eigenem Einkommen. Bei der Überprüfung der Bedürftigkeit müssen alle Einkünfte des Kindes berücksichtigt werden. Die Prüfung der Bedürftigkeit ist der dritte Schritt im Prüfungsschema zum Kindesunterhalt.
  3. Auch unterhaltsberechtigte Kinder können verpflichtet sein, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen (Erwerbsobliegenheit der Kinder), was zur Reduzierung oder sogar zum Wegfall des Kindesunterhalts führen kann. Auf der anderen Seite wird überobligatorisches Einkommen nur zum Teil auf den Unterhaltsanspruch angerechnet.
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Kindesunterhalt
Prüfungsschema


Anrechenbares Einkommen
des Kindes

Einkommensanrechnung
auf den Gesamtbedarf


Bei minderjährigen Kindern besteht der Gesamtbedarf des Kindes zu einem hälftigen Anteil aus Barunterhalt und zum anderen aus dem gleichwertigen Anteil von Betreuungsleistungen (d.h. Pflege und Erziehung).

Bei volljährigen Kindern besteht der Gesamtbedarf des Kindes dagegen nur noch in Form von Barunterhalt, für den beide Eltern anteilig haften. Dies hat Auswirkung auf die Anrechnung des eigenen Einkommens des Kindes auf den Unterhaltsbedarf: Bei minderjährigen Kindern wird das Eigeneinkommern zur Hälfte auf den Barunterhalt angerechnet. Bei volljährigen Kindern wird das Eigeneinkommen in voller Höhe auf den (Bar-) Gesamtbedarf angerechnet.


Welches Einkommen des Kindes
ist unterhaltsrelevant?


Das unterhaltsrelevante Einkommen des Kindes wird nach den allgemeinen Prinzipien ermittelt und zugerechnet. Das bedeutet: Alle unterhaltsrechtlichen Grundsätze der Einkommensermittlung werden auch beim Einkommen des Kindes angewendet und beachtet.

Reales
Gesamteinkommen


Es wird an das reale Gesamtbruttoeinkommen angeknüpft. Aus welcher Quelle und aus welchen Gründen das Einkommen stammt, ist irrelevant (vgl. Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrechtlichen Praxis. 10. Auflage 2019, § 2 Rn 107 ff). Alle Einkunftsarten des Bedürftigen werden bei der Unterhaltsanrechnung berücksichtigt (Totalitätsprinzip).
  • Bei minderjährigen Kindern ist Hauptfall für eigenes Erwerbseinkommen die Ausbildungsvergütungen aus einem Ausbildungsverhältnis.  
  • Ebenso zählen alle Formen von Vermögenserträgen zum bedarfsdeckenden Einkommen.

Vermögenserträge
aus Vermögensstamm des Kindes


OLG München, Beschluss vom 21.06.2017 - 16 UF 1384/16
(intern vorhanden, unser Az.: 505/16
)

Zinseinnahmen & Bedürftigkeit des Kindes


(Zitat) "Ein minderjähriges, unterhaltsbedürftiges Kind ist zwar nach § 1602 Abs.2 BGB nicht verpflichtet, den Stamm des eigenen Vermögens für Unterhaltszwecke zu verwenden, Erträge aus dem Vermögen, sind aber stets zur Deckung des Unterhalts heranzuziehen, insoweit entfällt die Bedürftigkeit des minderjährigen Kindes."

Anmerkung: Im Fall des OLG München wurde der Antrag auf Kindesunterhalt als unbegründet zurückgewiesen, weil im Unterhaltsverfahren nicht ausreichend plausibel zu den Zinseinnahmen der Kinder vorgetragen hat (Hinweis: zur Darlegungs- und Beweislast der Bedürftigkeit).

Vermögen minderjähriger Kinder gilt in der Regel als unantastbares Schonvermögen. Doch ist zwischen Vermögensstamm und Erträgen aus dem Vermögensstamm zu unterscheiden. Vermögenserträge zählen nicht zum unantastbaren Schonvermögen. Beim Kindesunterhalt sind sowohl beim Unterhaltsberechtigten (auch bei minderjährigen Kindern, § 1602 Abs.2 BGB) als auch beim Unterhaltspflichtigen ohne Einschränkung alle Vermögenserträge bedeutsam, und zwar für die Bedarfsbemessung, die Bedürftigkeit und die Leistungsfähigkeit (Wendl/Dose UnterhaltsR, § 1 Die Ermittlung des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens Rn. 602).

Die Vermögenserträge des Kindes sind zu bereinigen:

  • Berücksichtigungswürdige Abzugspositionen
    sind Werbungskosten, wie z.B. Depotgebühren, Bankspesen, Schließfachmiete, Kosten für Teilnahme an der Hauptversammlung, Versicherungsbeiträge, Kosten für einen notwendigen Vermögensverwalter sowie anteilige Steuern (Kapitalertragssteuer und persönliche Steuern).
  • Nicht abziehbar
    sind Aufwendungen für das Kapital oder das sonstige Vermögen sowie ein Verlust des Kapitals oder des Vermögens; ferner Aufwendungen zur Wertverbesserung. Auch ein Ausgleich für zukünftige Kaufkraftverluste kann nicht abgezogen werden.

Fiktives Einkommen
nach Maßgabe der Erwerbsobliegenheit


Es kann zu fiktiven Einkünften kommen, wenn Kinder eine Erwerbsobliegenheit trifft.

Überobligatorisches Einkommen
Erwerbstätigkeit neben Ausbildung


Wird einer überobligatorischen Tätigkeit nachgegangen, wird das daraus erzielte Einkommen nur zum Teil auf den Bedarf angerechnet. Das ist meist bei Studenten der Fall, die einer überobligatorischen Aushilfstätigkeit nachgehen.


Minderjähriges Kind
mit eigenem Einkommen

Grundsätze



Beispiel


Ein 16-jähriges Kind bezieht eine Ausbildungsvergütung von 500,-- € netto/Monat. Der von der Mutter getrennt lebende Vater bezieht ein unterhaltsrelevantes Netto-Einkommen in Höhe von 2.500,-- €. Bevor das Kind die Lehre begonnen hat, bezahlte der Vater nach Düsseldorfer Tabelle (2023) einen monatlichen Barunterhalt in Höhe von 522,-- € (Tabelle Zahlbeträge nach dritter Einkommensgruppe und dritter Altersstufe). Nachdem der Vater erfahren hat, dass sein Kind in der Ausbildung ein Gehalt von 500,-- € bezieht, möchte er seine Barunterhaltspflicht neu berechnen lassen.

Neuberechnung


Unterhaltsanspruch nach Anrechnung des Eigeneinkommens des Kindes beträgt 322,00 € (= 522,00 € - 200,00 €).


Volljähriges Kind
mit eigenem Einkommen

Einführung
Grundsätze


Das folgende Beispiel geht davon aus, dass das volljährige Kind noch bei einem Elternteil lebt (> abgeleitete Lebensstellung des Kindes). Der > Bedarf des volljährigen Kindes bestimmt sich in diesem Fall mithilfe der > Düsseldorfer Tabelle nach der > 4. Altersstufe und dem Gesamteinkommen beider Elternteile.
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Auf seinen > Bedarf muss sich das volljährige Kind das eigene unterhaltsrelevante Einkommen vollständig anrechnen lassen
> mehr

  • Weiterführende Links:
    » Musterfall : W ie wird die Höhe des Kindesunterhalts mithilfe der Düsseldorfer Tabelle ermittelt? > hier
    » Wegweiser zum Volljährigenunterhalt > hier

Beispiel


Vater und Mutter leben voneinander getrennt. Nach der > Trennung der Eltern bleibt Kind im Haushalt der Mutter. Das Kind besucht die Schule. Es wurde zu Gunsten des damals minderjährigen Kindes eine > Jugendamtsurkunde zur Barunterhaltsplicht des Vaters errichtet. Zwischenzeitlich wird das Kind volljährig über einen Barunterhalt nach Kind wird volljährig, es besucht das Gymnasium und bezieht aus Kapitalvermögen Zinseinkünfte in Höhe von 50,- € p.m. Die alleinerziehende Mutter, bei der das Kind nach wie vor lebt, hat ein unterhaltsrelevantes > Einkommen in Höhe von 1.500,- €. Sie kommt ihrer > Erwerbsobliegenheit vollständig nach. Der Vater bezieht ein unterhaltsrelevantes Einkommen in Höhe von 2.500,- €.

Frage


Nach Volljährigkeit des Kindes möchte der Vater nun wissen, ob er den Kindesunterhalt weiterhin bezahlen muss oder ob er die > Jugendamsturkunde abändern lassen kann.


Lösung


» Bedarf des Kindes:

Das Kind lebt noch im Haushalt eines Elternteils. Es leitet seine Lebensstellung deshalb von den Eltern ab und führt zur > Anwendung der Düsseldorfer Tabelle (DT). Ab Volljährigkeit des Kindes gilt die > 4. Altersstufe der DT. Die richtige Einkommensgruppe  ergibt sich jetzt aus dem > Gesamteinkommen der Eltern. Das volljährige Kind hat nur noch Anspruch auf Barunterhalt für den jetzt beide Eltern anteilig haften.
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Ausnahme: Ist ein Elternteil nicht > leistungsfähig, weil dessen Einkommen den maßgebenden > Selbstbehaltssatz nicht übersteigt, wird dieses Einkommen nicht zur Bedarfsermittlung herangezogen (siehe Rechtsprechung des > BGH).

Im vorliegenden Fall erzielt die Mutter kein Einkommen (1.500,00 €) über den ihr zustehenden Selbstbehalt (2023: 1.650,00  €). Die Einkommensgruppe nach Düsseldorfer Tabelle bestimmt sich hier also allein nach dem Einkommen des Vaters (2.500 € = 3. Einkommensgruppe) und führt nach zu einem Bedarf des volljährigen Kindes (4. Altersstufe) in Höhe von 691,00 € (= Tabellenbetrag nach > DT 2023).

» Bedürftigkeit des Kindes

Eigenes Einkommen:
Die eigenen > Zinseinnahmen in Höhe von 50,00 € p.m. sind auf den Bedarf (691,00 € p.m.) des Kindes in > voller Höhe anzurechnen. Vor Eintritt der Volljährigkeit konnten die Zinseinnahmen nur zur Hälfte (= 25,- €) angerechnet werden. Die andere Hälfte (25,- €) wurde auf den von der Mutter geleisteten Naturalunterhalt angerechnet (> Beispiel: Anrechnung eigener Einkünfte des minderjährigen Kindes). Ab Volljährigkeit entfällt ein Anspruch des Kindes auf Naturalunterhalt.
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Erwerbsobliegenheit:
Eine Anrechnung von > fiktiven Einkünften des Kindes wegen Verstoß gegen die > Erwerbsobliegenheit kommt hier nicht in Betracht. Das Kind befindet sich in > allgemeiner Schulausbildung (§ 1603 Abs.2 S.2 BGB).
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Kindergeld:
Weiter ist das > Kindergeld (2023: 250 €) ab Volljährigkeit in voller Höhe anzurechnen (§ 1612b Abs.1 Nr. 2 BGB).
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Somit lässt sich eine Bedarfslücke in Höhe von 391,00 € feststellen [= 691,00 € (Bedarf) - 50,00 € (Kapitaleinkünfte) - 250,00 € (Kindergeld)].

Ergebnis

Es wurde ein ungedeckter Bedarf des volljährigen Kindes an Barunterhalt in Höhe von 391,00 € festgestellt. Diesen hat der Vater allein zu decken, weil die Mutter am Barunterhalt mangels Leistungsfähigkeit nicht beteiligt werden kann. Der Vater kann wegen voller Anrechnung der Zinseinkünfte und des Kindergeldes ein > Abänderungsverfahren gegen die Jugendamtsurkunde anstreben.
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Links & Literatur



Links



Literatur


  • Axel Weiss, Kostenfaktor Kind, Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht im DAV Bremen, 23.11.2012

In eigener Sache


  • Barunterhaltsanspruch des minderjährigen Kindes mit Einkünften aus Kapitalvermögen, unser Az.: 236/15 (D3/176-16)