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Barunterhalt – Wie hoch ist der Geldbedarf des Kindes?
Das Wichtigste in Kürze
- Wenn es um die Festlegung des Kindesunterhalts geht, spielt die zweite Prüfungsebene im Prüfungsschema eine entscheidende Rolle. Hier wird der Bedarf des Kindes in Bezug auf den Barunterhalt bestimmt (§ 1612 Abs.1 S.1 BGB). Damit ist der Bedarf an Geld gemeint. Dieser Bedarf basiert auf der „Lebensstellung“ des Kindes (§ 1610 BGB).
- Der Gesetzgeber hat nicht definiert, was genau die Lebensstellung des Kindes umfasst. Dadurch liegt es in der Verantwortung der Rechtsprechung, diesen Begriff in Ermittlungsmethoden umzusetzen.
- Die Berechnung des Barunterhalts ist ein hochkomplexes Thema. Wir helfen Ihnen mit unserer fachlichen Kompetenz dabei, den Unterhaltsbedarf Ihres Kindes zu ermitteln. Lassen Sie sich von erfahrenen Anwälten beraten, um das bestmögliche Ergebnis in Ihrem Fall zu erzielen. Kontaktieren Sie uns noch heute.
Rechtlicher Leitfaden
zur BedarfsermittlungErfahren Sie, mit welchen Schritten und logischen Argumenten der Geldbedarf des Kindes ermittelt und begründet wird:
> Wegweiser zur Bedarfsermittlung beim Kindesunterhalt
Wegweiser
zur Bedarfsermittlung beim Kindesunterhalt
Lebensbedarf des Kindes
feststellen
Die Eltern schulden ihren Kindern Unterhalt in Höhe des Geldbetrages, der zur Deckung des gesamten Lebensbedarfs (§ 1610 Abs.2 BGB) erforderlich ist. Dazu hat der Gesetzgeber keine Bedarf-Pauschalsätze vorformuliert. Der Bedarf i.S.d § 1610 Abs.2 BGB muss individuell bestimmt werden. Welche Bedarfspositionen zum gesamten Lebensbedarf des Kindes zählen, hängt von folgenden Fragestellungen ab:
Fragen
zum erforderlichen Lebensbedarf des Kindes
- Welchem Interesse dient der Kostenaufwand?
- Entspricht der Kostenaufwand der Lebensstellung?
- Sind die Kosten unterhaltsrechtlich relevant?
- Ist die Bedarfsposition in der Düsseldorfer Tabelle enthalten?
- Grundsätze zum Regelbedarf, Mehrbedarf & Sonderbedarf
- Formel zum Gesamtbedarf
Welchem Interesse ist gedient?
Dienen die Ausgaben für die Kinderbetreuung dem Interesse des Kindes oder den Interessen der Eltern? Dient der Aufwand vorwiegend erzieherischen Zwecken, dient er dem Kind und somit zur Deckung des individuellen Lebensbedarfs des Kindes (§ 1610 BGB).
- Soweit z. B. Kinderbetreuungskosten vorwiegend die berufliche Tätigkeit eines Elternteils ermöglichen sollen, stellen sie berufsbedingte Aufwendungen des erwerbstätigen Elternteils dar (BGH, Versäumnisurteil vom 05.03.2008 - XII ZR 150/05, Rn 19).
- Kosten für den Kindergartenbesuch gehören zum Lebensbedarf des Kindes, weil sie primär den erzieherischen Zwecken des Kindes dienen.
Stehen die Kosten der Bedarfsposition erforderlich?
Aber nicht alle Kosten, die dem Interesse des Kindes dienen, zählen zum erforderlichen Lebensbedarf des Kindes. Der Aufwand muss zur (individuellen) Lebensstellung des Kindes „passen", d.h. (wie Juristen sagen) „angemessen“ sein. Er muss im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten der Eltern liegen, von denen die Kinder ihre Lebensstellung ableiten. So kann nicht jedes Luxusinternat einen erforderlichen Mehrbedarf wegen auswärtiger Unterbringung begründen, auch wenn der Besuch einer solchen Privatschule den erzieherischen Zwecken des Kindes – ohne Frage – optimal dienen kann.
Ist die Bedarfsposition unterhaltsrechtlich relevant?
Die Frage stellt sich vor allem im Zusammenhang mit Umgangskosten. Mit Betreuungskosten, die beim umgangsberechtigten und barunterhaltspflichtigen Elternteils entstehen, wird anders umgegangen, als mit denen aufseiten des kinderbetreuenden Elternteils. Umgangskosten sind nach höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich aufseiten des barunterhaltspflichtigen Elternteils unterhaltsrechtlich neutral zu behandeln. Das kann sich erst ändern, je mehr sich die Ausübung des Umgangsrechts des barunterhaltspflichtigen Elternteils einer > Mitbetreuung des Kindes annähert.
Ist die Bedarfsposition bereits im Regelbedarf nach Düsseldorfer Tabelle enthalten?
Wird der Regel-Geldbedarf mithilfe der Düsseldorfer Tabelle (DT) festgestellt (Regelbedarf), weil das Kind seine Lebensstellung von den Eltern ableitet und wird weiter festgestellt, dass eine erforderliche Bedarfsposition nicht im Regelbedarf einkalkuliert ist, die zum Lebensbedarf des Kindes (§ 1610 Abs.2 BGB) zählt, kommt es zum Zusatzbedarf. Im Anwendungsbereich der Düsseldorfer Tabelle gilt damit die Formel: Gesamtbedarf = Regelbedarf + Mehrbedarf + Sonderbedarf.
Formel
zum Gesamtbedarf
- Regelbedarf
- zzgl. Mehrbedarf
- zzgl. Sonderbedarf
= Gesamtbedarf
Mit dieser Formel wird die Lücke zum gesamten Lebensbedarf (§ 1610 Abs.2 BGB) geschlossen. Ob eine Bedarfslücke vorliegt, hängt davon ab, welche Bedarfspositionen der Regelbedarf nach DT erfasst. Um zu bestimmen, welche Bedarfsposition zur Kategorie Mehrbedarf oder Sonderbedarf zählt und welche zum Regelbedarf gehört, muss bekannt sein, auf welcher Grundlage die Tabellenwerte der DT kalkuliert sind.
- Weiterführende Links:
» Wegweiser zum Mehrbedarf – Sonderbedarf
Bedarfspositionen des Kindes
in der Praxis
Abgeleitete Lebensstellung
des Kindes
Muss das Kind versorgt und betreut werden, so sind alle Merkmale für eine abgeleitete Lebensstellung gegeben. Ob die Betreuung und Versorgung von einem Elternteil höchstpersönlich erbracht wird oder vielmehr das Kind fremdbetreut wird, ändert nichts an der Tatsache, dass eine abgeleitete Lebensstellung gegeben ist, solange das Kind nicht selbsterhaltungsfähig ist. Ob das Kind volljährig ist oder nicht, spielt für die Frage nach der abgeleiteten Lebensstellung keine Rolle. Zur abgeleiteten Lebensstellung einer 38-jährigen Studentin, deren Studienabschluss sich krankheitsbedingt immer wieder verzögert hat: OLG München v. 06.09.2006 - 1 W 2126/06, in: FamRZ 2007, 911.
Abgeleitete Lebensstellung
auch bei Fremdbetreuung des Kindes
BGH, Urteil vom 06.12.2006 - XII ZR 197/04
Unterhaltsbedarf bei Heimunterbringung
Anmerkung: Es ist aber allgemein anerkannt, dass von einer eigenen Lebensstellung des Kindes nicht gesprochen werden kann, solange es entweder von einem Elternteil oder von Dritten tatsächlich betreut wird. Daraus wird umgekehrt geschlossen, dass eine Fremdbetreuung die Bedarfsermittlungsgrundsätze zur abgeleiteten Lebensstellung nicht aufhebt. Somit verbleibt es auch bei Kindern, die extern im Internat, Heim oder sonstiger Einrichtung mit betreutem Wohnen untergebracht sind und dort fremdbetreut werden, bei der Bedarfsermittlung nach Maßgabe des Einkommens des barunterhaltspflichtigen Elternteils und den Bedarfssätzen der Düsseldorfer Tabelle. Besonderheiten bestehen insoweit, als bei auswärtiger Unterbringung kein Elternteil mehr vollständig für den Naturalunterhalt des Kindes aufkommt.
> Welche Folgen hat eine auswärtige Fremdbetreuung des Kindes für die Unterhaltsbemessung?
Bedarfsermittlungsmethode
bei abgeleiteter Lebensstellung
- Besitzt das Kind eine abgeleitete Lebensstellung, wird der Bedarf (§ 1610 BGB) nach Maßgabe der Düsseldorfer Tabelle in Abhängigkeit vom Einkommen der Eltern und Alter des Kindes ermittelt
- Ist das Kind volljährig und lebt noch im Haushalt zumindest eines Elternteils, d. h. es befindet sich noch in Obhut der Eltern, gilt die 4. Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle (BGH, Urteil vom 31. Oktober 2007 – XII ZR 112/05) und es kommt zur anteiligen Barunterhaltspflicht beider Elternteile (> Berechnungsbeispiel).
- Übersteigt das Elterneinkommen den Höchstbetrag der 15. Einkommensgruppe, ist für einen darüber liegenden Bedarf dieser konkret zu ermitteln und vorzutragen.
- Gehört zum Gesamtbedarf des Kindes eine Bedarfsposition, die nicht in die Düsseldorfer Tabelle einkalkuliert ist, so ist der Mehrbedarfs oder Sonderbedarf konkret zu ermitteln.
Bedarfsermittlung für minderjährige Kinder
und Betreuungsmodell
Bedarfsermittlung
bei eigener Lebensstellung
Kriterien
der eigenen Lebensstellung
Eine eigene Lebensstellung besitzt das Kind, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:
- Das Kind lebt nicht (zumindest) bei einem Elternteil.
- Das Kind mit eigenem Hausstand wird nicht betreut.
- Für eine eigene Lebensstellung ist nicht erforderlich, dass das Kind volljährig ist.
Bedarfsermittlung
bei eigener Lebensstellung

OLG Koblenz, Beschluss vom 26.09.2012 - 13 UF 413/12
Bedarf eines minderjährigen Kindes mit eigenem Hausstand
OLG Hamm, Beschluss vom 16.02.2005 - 11 WF 43/05
Lebensstellung und Bedarfsermittlung für ein volljähriges Kind, das bei den Großeltern lebt
Anmerkung: Der Bedarf eines volljährigen Kindes, das bei seiner Großmutter und ihrem Ehemann lebt, muss genauso berechnet werden wie der Bedarf eines volljährigen Kindes, das einen eigenen Haushalt hat (OLG Hamm, Beschluss vom 29. 5. 2013 – II-2 WF 98/13). Auch wenn das Kind sich noch in allgemeiner Schulausbildung befindet und keine 21 Jahre alt ist, gilt es nicht als privilegiert volljährig. Die Großmutter und ihr Ehemann leisten freiwillig Verpflegung und Unterkunft, was jedoch keinen Einfluss auf den Bedarf des Kindes hat.
Bei Studenten oder volljährigen Auszubildenden mit eigener Lebensstellung wird in der Regel der Unterhaltsbedarf pauschal bestimmt. Für volljährige Kinder in der Ausbildung gehen die Oberlandesgerichte in ihren Leitlinien (vgl. Ziff. 13.1.2) deswegen von einem festen Unterhaltsbedarf aus, der zuzüglich ev. Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung und von Studiengebühren bemessen wird.
Ist das volljährige Kind erwerbsfähig, richtet sich die Lebensstellung nach dem Erwerbseinkommen, ist es krank und erwerbsunfähig, kann nur auf Erwerbsunfähigkeitsrente abgestellt werden.
Nach dieser eigenen Lebensstellung richtet sich dann auch sein Unterhaltsanspruch gegen beide Eltern anteilig nach deren Einkommens- und Vermögensverhältnissen (BGH, Urteil vom 23. Mai 2007 – XII ZR 245/04, Rn. 28).
- Weiterführende Links:
» Unterhalt für Studenten
OLG Brandenburg, Urteil vom 11.03.2004 - 10 UF 176/03
Bedarf eines volljährigen behinderten Kindes mit eigenem Hausstand & pauschalierter Bedarf
(Zitat) „Danach ist im Bereich des Volljährigenunterhalts zur Ermittlung des angemessenen Unterhalts ebenfalls auf die in den Unterhaltstabellen enthaltenen Eigenbedarfssätze eines unterhaltsberechtigten Ehegatten abzustellen und als Untergrenze derjenige Betrag pauschal als Bedarf anzusetzen, welcher der jeweiligen konkreten Lebenssituation des unterhaltsberechtigten Kindes entspricht (vgl. hierzu BGH, FamRZ 2003, 860/861 betreffend den Elternunterhalt). Insoweit bleibt das Gericht auch bei einer pauschalierenden Betrachtung an das generelle Gebot gebunden, den Unterhalt individuell und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bemessen (vgl. hierzu BGH, FamRZ 1982, 587/589)."
Leistungsfähigkeit und Selbstbehalt
bei eigener Lebensstellung des volljährigen Kindes und erreichter wirtschaftlicher Selbstständigkeit
BGH, Urteil v. 18.07.2012 - XII ZR 91/10
Familienselbstbehalt gegenüber volljährigem Kind mit bereits erreichter wirtschaftlicher Selbstständigkeit
Sachverhalt: Volljähriger Sohn (Jahrgang 1969), der bereits eine eigene Lebensstellung erworben hatte, wird wegen Depressionen und Alkoholabhängigkeit wieder unterhaltsbedürftig. Er bezieht Sozialhilfe. Der Sozialhilfeträger will nach § 94 Abs.1 S. 1 SGB XII die Eltern (Rentner) in Regress nehmen. Hier nimmt der BGH dazu Stellung, welcher Selbstbehalt den Eltern gegenüber dem volljährigen Sohn zusteht.
Anmerkung: Der BGH billigt hier den Familienselbstbehalt zu, der auch Kindern gegenüber ihren Eltern zusteht. BGH, Zitat: „Zwar müssen Eltern regelmäßig damit rechnen, ihren Kindern auch über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus zu Unterhaltsleistungen verpflichtet zu sein, bis diese ihre Berufsausbildung abgeschlossen haben und wirtschaftlich selbständig sind. Haben die Kinder danach aber eine eigene Lebensstellung erlangt, in der sie auf elterlichen Unterhalt nicht mehr angewiesen sind, kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass sie diese Elternunabhängigkeit auch behalten. Darauf dürfen sich, wenn nicht bereits eine andere Entwicklung absehbar ist, grundsätzlich auch die Eltern einstellen (Senatsurteil vom 18. Januar 2012 - XII ZR 15/10 - FamRZ 2012, 530 Rn. 17)."