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Die Eltern haben für den Umgang mit ihrem gemeinsamen 12-jährigen Kind ein echtes Wechselmodell vereinbart und führen dieses durch. An unterhaltsrechtlich bereinigten Einkommen bezieht der Vater 3.000,- €/Monat, die Mutter 1.600,- €/Monat. Das Kindergeld bezieht die Mutter. Beim echten Wechselmodell fallen regelmäßig höhere Betreuungskosten als beim > Residenzmodell an. Es müssen mehr Fahrten für den Wechsel des Kindes zwischen den Haushalten der Eltern durchgeführt werden; jeder Elternteil unterhält für das Kind ein eigenes Kinderzimmer, etc.). Dies führt zu einem > Mehrbedarf des Kindes (hier geschätzt mit 100,- €).
Leitsätze:
(Zitat) "Ein solcherart von den Eltern praktiziertes [> echtes] Wechselmodell bleibt allerdings auch auf die Bedarfsbemessung nicht ohne Einfluss. Wenn beide Elternteile über Einkommen verfügen, ist der Unterhaltsbedarf des Kindes an den beiderseitigen - zusammengerechneten - Einkünften auszurichten. Hinzuzurechnen sind die Mehrkosten (z.B. Wohn- und Fahrtkosten), die dadurch entstehen, dass das Kind nicht nur in einer Wohnung, sondern in getrennten Haushalten versorgt wird. Für den so ermittelten Bedarf haben die Eltern anteilig nach ihren Einkommensverhältnissen und unter Berücksichtigung der erbrachten Naturalunterhaltsleistungen aufzukommen (vgl. zur Berechnung etwa OLG Düsseldorf, Urteil vom 12. 2. 1999 - 3 UF 102/98, in: NJW-RR 2000, 74 ff. und NJW 2001, 3344 ff.)".
Anmerkung: Beim echten Wechselmodell richtet sich der > Bedarfs des Kindes nach dem > gemeinsamen Einkommen und Vermögen beider Elternteile. Das > unterhaltsrelevante Einkommen der Eltern beträgt 4.600,- € (= 3.000,- € + 1.600,- €). 1. Nach der > Düsseldorfer Tabelle bestimmt sich der Bedarf also nach der 8. > Einkommensgruppe. Das ergibt in der dritten Altersstufe (12 - 17 Jahre) einen Tabellenbetrag in Höhe von 761,- € (2021). Mit dem > Mehrbedarf beträgt der Gesamtbedarf an Barunterhalt insgesamt (861,- €).
Der Bedarf an Barunterhalt des Kindes ist von den Eltern > anteilig entsprechend Ihrer jeweiligen Leistungsfähigkeit (§ 1606 Abs.3 S.1 BGB) zu tragen. Um die jeweilige Quote für die anteilige Haftung der Eltern zu bestimmen, wir von dem unterhaltsrelevanten Gesamt-Einkommen der Eltern jeweils zunächst der > angemessene Selbstbehalt in Abzug gebracht (> DT 2021: 1.400,- €). Damit sind folgende Beträge für Vater und Mutter in Ansatz zu bringen:
» Die Haftungsquote des Vaters entspricht 89 % (= 1.600 : 1.800 x 100%).
» Die Haftungsquote der Mutter entspricht 11 % (= 200 : 1.800 x 100%)
Auch beim Wechselmodell, bei dem die Betreuungsleistung für das Kind zwischen den Eltern paritätisch aufgeteilt ist, führt der Grundsatz der anteiligen Haftung nach den wirtschaftlichen Verhältnissen (§ 1606 Abs.3 S.1 BGB) zu einem Ausgleichsanspruch zwischen den Eltern. Weil die Eltern jeweils paritätisch Naturalunterhalt leisten, hat, wegen der > Gleichwertigkeit von Naturalunterhalt und > Regelbedarf nach Düsseldorfer Tabelle, jeder Elternteil die Hälfte des Regelbedarfs (761 x ½ = 380,50 €) zu decken. Dies erfolgt grundsätzlich dadurch, dass die Kosten zur Deckung des Regelbedarfs des Kindes, die während des Aufenthalts bei einem Elternteil entstehen, von diesem Elternteil allein getragen werden. Eine Ausgleichszahlung zwischen den Eltern erfolgt nicht, wenn beide Elternteile gleich leistungsfähig sind. Ist nach Maßgabe des § 1606 Abs.3 S.1 BGB jedoch eine unterschiedliche Leistungsfähigkeit festzustellen, kommt es zu einem Ausgleichsanspruch zwischen den Eltern. Derjenige Elternteil mit höherer Leistungsfähigkeit hat einen Ausgleich an den Elternteil mit niedrigerer Leistungsfähigkeit zu leisten. Die Ausgleichsberechnung findet wie folgt statt:
Der Vater hat wegen > 1606 Abs.3 S.1 BGB zu 85 % für den Regelbedarf nach Düsseldorfer Tabelle aufzukommen: hier in Höhe von 677,29 € (= 89 % von 761,- €). Weil der Vater während der Hälfte der Gesamtbetreuungszeit des Kindes den Pflege- und Erziehungsaufwand für das Kind in seinem Haushalt erfüllt (hälftige > Naturalunterhaltsleistung), darf der Vater bei Ermittlung seiner Ausgleichspflicht gegenüber der Mutter den Regel-Bedarfsbetrag um die Hälfte, d.h. in Höhe von 380,50 € (= 761,- € x 1/2) in Abzug bringen. Somit verbleibt ein ausgleichspflichtiger Betrag in Höhe von 296,79 € (= 677,29 € – 380,50 €). Bezieht die Mutter das komplette > Kindergeld (ab 2021 für 1. und 2. Kind: 219,- €) ist der Ausgleichsbetrag um den hälftigen Kindergeld-Anteil (109,50 €) zu bereinigen, d.h. es sind 109,50 € von der Ausgleichspflicht (296,79 €) in Abzug zu bringen. Damit ist im Ergebnis der Vater gegenüber der Mutter in Höhe von 187,29 € (= 296,79 € – 109,50 €) ausgleichspflichtig.
Die Mutter hat zu 11 % für den Regelbedarf nach Düsseldorfer Tabelle aufzukommen: hier in Höhe von 83,71 € (= 11 % von 761,- €). Ebenso wie der Vater kann die Mutter wegen der Betreuungsleistungen des Kindes Wechselmodells die Hälfte des Regelbedarfs, d.h. in Höhe von 380,50 € in Abzug bringen. Sie kommt also in Höhe von 296,79 € (= 380,50 € - 83,71 €) mehr für den Regelbedarf des Kindes auf, als ihr nach Maßgabe ihrer anteiligen Haftung nach § 1606 Abs.3 S.1 BGB zuzumuten ist. Allerdings bezieht sie das volle Kindergeld (219,- €). Die Hälfte davon (109,50 €) hat sie sich auf ihren Ausgleichsanspruch gegenüber dem Vater anrechnen zu lassen. Ihr Ausgleichsanspruch besteht somit in Höhe von 296,79 - 109,50 € = 187,29 €
Beachtet man bei der Quoten-Haftung der Eltern für den Regelbedarf den Grundsatz der anteiligen Haftung (§ 1606 Abs.3 S.1 BGB), so ist im Ergebnis festzustellen, dass die Mutter einen Ausgleichsanspruch gegen den Vater in Höhe von 187,29 € geltend machen kann (zur anteiligen Haftung für Mehr und Sonderbedarf > HIER). Es wird beim echten Wechselmodell somit eine spezielle Form des sog. familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs durchgeführt. Der sog. > „familienrechtliche Ausgleichsanspruch“ wurde von der Rechtsprechung für den Ausgleich eines Ehegatten gegen den anderen entwickelt, wenn einer die Barunterhaltspflicht und die Naturalunterhaltspflicht > überobligatorisch für beide Elternteile erfüllt. Das ist beim vorliegenden Beispiel wegen der unterschiedlich hohen Leistungsfähigkeit der Eltern der Fall. Der Anspruch musste von der Rechtsprechung entwickelt werden, da Unterhaltsschulden „Teil“- und nicht „Gesamt“-Schulden sind und ein „Gesamt“-Schuldnerausgleich nach § 426 BGB zwischen den Eltern nicht infrage kommt.
Über die nachfolgenden Rechenschritte ist man sich in der Literatur grundsätzlich einig.
1. Ermittlung des Gesamtbedarfs
2. Ermittlung des unterhaltsrelevanten Einkommens beider Eltern, die addiert werden
3. Quotenberechnung mit angemessenem Selbstbehalt als Sockelbetrag (im Mangelfall Quotenberechnung mit notwendigem Selbstbehalt als Sockelbetrag)
4. Berechnung der Anteile jedes Elternteils am Gesamtbedarf
5. Anrechnung von einseitig erbrachten Leistungen, die zu teilen sind (besondere Anschaffungen) und Anrechnung des Kindergeldes, das nur an einen Elternteil ausgezahlt wird
6. Berechnung der Ausgleichszahlung von einem Elternteil an den anderen.
Bei der Frage, wie der Gesamtbedarf festzustellen ist (> Thema Bedarfsermittlungsmethode), scheiden sich die Geister:
Folgende Verfasser/-innen stützen sich bei der Bedarfsermittlung jedoch auf die Tabellensätze: Ehinger/Rasch/Griesche, Handbuch des Unterhaltsrechts, 2008, Rn 96 ff.; Luthin/Koch, Handbuch des Unterhaltsrechts, 2010; Klinkhammer, in: Wendl/Dose, Unterhaltsrecht, 2011, § 2 Rn 450; Spangenberg, Wechselmodell und Unterhalt, FamFR 2010, 25; Seiler, in: Gerhardt/von Heintschel-Heinegg/Klein, Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, Rn 295; Wohlgemuth, Kindesunterhalt und familienrechtlicher Ausgleich beim Wechselmodell, FuR 2012, 401; Bausch/Gutdeutsch/Seiler, Die unterhaltsrechtliche Abrechnung des Wechselmodells, FamRZ 2012, 258.
Diejenigen, die der Meinung sind, dass die Tabellenbeträge der Düsseldorfer Tabelle nicht passen (sie seien zu niedrig um den Bedarf der Kinder beim Wechselmodell vollständig zu erfassen: vgl. Scheiwe, FF 2013, 280-289), bevorzugen eine konkrete Bedarfsermittlung (z.T. inklusive der Bewertung der jeweils erbrachten Naturalleistungen).
Welcher Elternteil ist beim Wechselmodell befugt, den Barunterhalt für das minderjährige Kind gegen den anderen Elternteil gerichtlich geltend zu machen (> Klagebefugnis)? Hier kann es zu Schwierigkeiten bei der Anwendung des § > 1629 Abs.2 S.2 BGB kommen. Nach dieser Vorschrift kann beim gemeinsamen Sorgerecht derjenige Elternteil den Barunterhaltsanspruch gerichtlich verfolgen, in dessen Obhut sich das Kind befindet. Dies kann beim > echten Wechselmodell nicht mehr eindeutig festgestellt werden. Eine > Obhut des Kindes besteht sowohl bei dem einen wie dem anderen Elternteil. Zum Problem der > Klagebefugnis beim Wechselmodell hat nun der BGH mit Beschluss vom 12.03.2014 - XII ZB 234/13 ausführlich ab > Rn 16ff. Stellung bezogen. Knapp vier Monate später erging vom OLG Hamburg, Beschluss vom 27.10.2014 - 7 UF 124/14: Hier wird erklärt, wie im Fall eines echten Wechselmodells das Gericht bei gemeinsamem Sorgerecht die alleinige Klagebefugnis auf einen Elternteil überträgt. Eine Übertragung der Klagebefugnis nach § 1628 BGB kann auch im Wege einer einstweiligen Anordnung erreicht werden.
Leitsätze:
1. Wenn die gemeinsam sorgeberechtigten Kindeseltern ein echtes Wechselmodell praktizieren und der eine Elternteil Ansprüche des Kindes auf Barunterhalt gegen den anderen Elternteil gerichtlich geltend zu machen beabsichtigt, hat er die Wahl, ob er entweder die Bestellung eines Pflegers für das Kind herbeiführt oder ob er nach § 1628 BGB bei dem Familiengericht beantragt, die Entscheidung über die Geltendmachung von Kindesunterhalt auf ihn allein zu übertragen. Das Wahlrecht zwischen diesen beiden Möglichkeiten ist nicht durch besondere Kautelen eingeschränkt (BGH, Urt. v. 21.12.2005 – XII ZR 126/03, NJW 2006, 2258).
2. Die Übertragung der Entscheidung nach § 1628 BGB kann auch durch einstweilige Anordnung erfolgen.
OLG Zweibrücken, Beschluss vom. 11.3.2021 – 2 UF 28/21
Klagebefugnis beim Kindesunterhalt und Wechselmodell
Leitsätze:
1. Wird ein Kind im Rahmen eines paritätischen Wechselmodells betreut, kann ein Elternteil das Kind zur Geltendmachung von Barunterhaltsansprüchen nicht nach § 1629 Abs.2 S.2 BGB vertreten, sondern muss entweder die Übertragung der Entscheidungsbefugnis nach § 1628 BGB verlangen oder die Bestellung eines Ergänzungspflegers herbeiführen. Einschlägig ist hier das Recht zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen als Teilbereich der Personensorge, nicht aber die Vermögenssorge.
2. Das Jugendamt kann sich gegen die Bestellung als Ergänzungspfleger nicht mit dem Argument zur Wehr setzen, die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Berechnung des Kindesunterhaltsanspruches im Sonderfall des Wechselmodells seien bei ihm nicht vorhanden.
Anmerkung: Beim echten Wechselmodell ist entweder ein
Beispiel: Zwei minderjährige Kinder leben nach der Ehescheidung zunächst bei der Mutter. Diese erwirkt als gesetzliche Vertreterin einen Beschluss gegen Vater über Mindestunterhalt. Nun vereinbaren die Eltern das paritätische Wechselmodell. Nach umfangreicher Berechnung wird nun davon ausgegangen, dass der Vater einen Ausgleichsanspruch gegen die Mutter hat. Der Vater will den Alt-Titel gegen sich auf Null herabgesetzt und einen Titel gegen die Mutter erwirken. Wie löst man das verfahrensrechtlich? Ist für den Vater zunächst die Abänderung des Alt-Titels zu beantragen?
Soll gegen einen sog. Alt-Titel vorgegangen werden, dem wegen veränderter Umstände die Vollstreckungsfähigkeit genommen werden soll, stellt sich immer die Frage nach dem richtigen Antrag; Vollstreckungsabwehrantrag oder Abänderungsantrag (> Mehr). Ab Kinderbetreuung im paritätischen Wechselmodell steht keinem Elternteil die alleinige Befugnis zu, den Kindesunterhalt für das Kind gelten zu machen (> Mehr). Sind die Voraussetzungen der Verfahrensstandschaft mit dem Eintritt der Volljährigkeit des Kindes oder aufgrund von Veränderungen in den Obhutsverhältnissen des Kindes (§ 1629 Abs. 2 S. 2 BGB) entfallen, kann der Titelschuldner dies mit einem > Vollstreckungsabwehrantrag (§ 767 ZPO) gegenüber dem weiter die Zwangsvollstreckung betreibenden Elternteil einwenden. Keinen Unterschied macht es hierbei, ob der nicht mehr legitimierte Elternteil wegen eines laufenden Unterhalts oder auch noch wegen Unterhaltsrückständen aus der Zeit der Minderjährigkeit des Kindes die Zwangsvollstreckung betreibt, da maßgebend für den Erfolg des Vollstreckungsabwehrantrags allein auf den Wegfall der Vollstreckungsbefugnis abzustellen ist (so OLG Hamm, Beschluss vom 23,12,2015 - 2 WF 198/15, mwN).