Ist Ehegatte mit Vermögen
unterhaltsbedürftig?

Bedürftig ist der Ehegatte nicht, soweit er seinen > Bedarf mit eigenem Einkommen und unterhaltsrelevantem Vermögen selbst decken kann (> Vermögen & Unterhaltsbedürftigkeit). Inwieweit ein sog. > Schonvermögen besteht, hängt von der familiären Beziehung der Beteiligten ab.

Geht es um die > Bedürftigkeit des Ehegatten mit Vermögen, wird danach unterschieden, ob der Ehegatte > Trennungsunterhalt oder > nachehelichen Unterhalt beansprucht. Weiter ist danach zu differenzieren, woher das Vermögen stammt und ob das Vermögen noch vorhanden ist und warum es nicht mehr vorhanden ist.
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Grundsatz
Verwertungsobliegenheit

§ 1577 BGB
Gesetzestext


(1) Der geschiedene Ehegatte kann den Unterhalt nach den §§ 1570 bis 1573, 1575 und 1576 nicht verlangen, solange und soweit er sich aus seinen Einkünften und seinem Vermögen selbst unterhalten kann.

(2) ...

(3) Den Stamm des Vermögens braucht der Berechtigte nicht zu verwerten, soweit die Verwertung unwirtschaftlich oder unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse unbillig wäre (> zumutbarer Vermögensverbrauch).

(4) ... (> aktuelles & ehemaliges Vermögen).


Anmerkung


Vermögensertrag:
Bedarfsdeckung findet in der Regel durch verfügbares unterhaltsrelevantes Einkommen statt. Ist dieses nicht, auch nicht fiktiv, vorhanden oder ist es unzureichend, kann der Zugriff auf vorhandenes Vermögen in Betracht kommen. Grundsätzlich obliegt es gem. § 1569 BGB jedem Ehegatten, nach der Scheidung selbst für seinen Unterhalt zu sorgen. § 1577 Abs.1 BGB stellt klar, dass der unterhaltsbedürftige (Ex-)Ehegatte sich eigene Einkünfte (auch Einkünfte aus Kapitalvermögen) bedarfsdeckend anrechnen lassen muss. Auch > Vermögenserträge hat der unterhaltsberechtigte Ehegatte zur Vermeidung seiner Bedürftigkeit einzusetzen. Für den getrennten Ehegatten fehlt eine vergleichbare gesetzliche Regelung. Doch besteht weitgehend Einigkeit, dass § 1577 Abs.1 BGB im Bereich des > Trennungsunterhalts entsprechend anzuwenden ist. Unterlässt der Unterhaltsgläubiger eine zumutbare ertragreiche Vermögensverwendung, fehlt es an der Bedürftigkeit, was bei der Unterhaltsberechnung durch Einstellung eines der Obliegenheit entsprechenden > fiktiven Einkommens berücksichtigt wird. Wann sogar der Vermögensstamm angegriffen werden muss, bestimmt § 1577 Abs.3 BGB.

Vermögensstamm:
Eine Vermögensbildung oder den Vermögenserhalt hat der Unterhaltspflichtige nicht zu finanzieren. Jedoch muss bedürftige Ehepartner sein Vermögen dann nicht verwerten, wenn dies unwirtschaftlich oder unbillig wäre, § 1577 Abs.3 BGB. Der Unterhaltsberechtigte hat im Zweifelsfall > darzulegen und zu beweisen, dass zu seinen Gunsten ein Fall des § 1577 Abs.3 BGB vorliegt und deshalb die Verwertung des Vermögensstamms nicht verlangt werden kann.

Zumutbare Vermögensverwertung
§ 1577 Abs.3 BGB

BGH, Urteil vom 16.01.1985 - IV b ZR 60/83 (NJW 1985, 907)
Obliegenheit beim Trennungsunterhalt - Hier: Sparguthaben des Ehegatten

(Zitat) "Auch beim Trennungsunterhalt ist (...) die Verweisung auf den Stamm des Vermögens nicht von vornherein ausgeschlossen. Allerdings ergibt sich das nicht daraus, daß § 1361 Absatz I 1 BGB außer auf die Erwerbs- auch auf die Vermögensverhältnisse der Ehegatten abstellt. (...) Im Bereich des Geschiedenenunterhalts enthält das Gesetz für den Berechtigten in § 1577 Abs.3 BGB (...) die Vorschrift, daß der Vermögensstamm nicht verwertet zu werden braucht, soweit die Verwertung unwirtschaftlich oder unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse unbillig wäre. Das setzt zugleich eine äußerste Grenze, bis zu der der unterhaltsberechtigte Ehegatte im Falle des Getrenntlebens auf den Vermögensstamm allenfalls verwiesen werden darf. Unter den noch miteinander verheirateten Ehegatten besteht eine stärkere personale Verantwortung füreinander als nach der Scheidung. Daher kann in der Trennungszeit die Obliegenheit, den Stamm des Vermögens für den eigenen Unterhalt anzugreifen, nicht weiter gehen, als wenn die Ehe geschieden ist und jeder der ehemaligen Partner im Grundsatz wirtschaftlich auf eigenen Füßen stehen soll. (...) Eine Unwirtschaftlichkeit der Verwertung wird bei einem Sparguthaben allerdings nicht in Betracht kommen. Ob die Verwertung des Vermögensstammes unbillig wäre, muß jedoch schon nach dem Wortlaut der Vorschrift unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse entschieden werden. Dazu gehört neben der (...) Prüfung, in welchem Maße den Verpflichteten die Unterhaltsgewährung aus seinem Einkommen belastet, die Feststellung, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe auch er Vermögen besitzt (...) Sofern eine Verweisung auf den Vermögensstamm in Betracht kommt, stellt sich die Frage, ob die Ehefrau ihr Sparguthaben vollständig aufbrauchen muß (vgl. auch insoweit das zu § BGB § 1577 Absatz III BGB ergangene Senatsurteil, FamRZ 1984, Seite 364). Weil sie im Gegensatz zu dem Ehemann keine laufenden Erwerbseinkünfte erzielt, ist ihr zumindest eine Vermögensreserve als „Notgroschen für Fälle plötzlich auftretenden (Sonder-) Bedarfs zu belassen."

OLG Celle, vom 06.08.2009 - 17 UF 210/08
Verwertungsobliegenheit - Nachehelicher Unterhalt

(Zitat) "Gemäß § 1577 Abs.3 BGB braucht der Unterhaltsberechtigte den Stamm seines Vermögens nicht zu verwerten, soweit die Verwertung unwirtschaftlich oder unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse unbillig wäre. Letzteres ist der Fall. Zwar wird es dem Unterhaltsberechtigten grundsätzlich eher zuzumuten sein, einen durch Erbschaft erworbenen Vermögensstamm für seinen Unterhalt einzusetzen als dies beispielsweise bei einem Vermögen der Fall wäre, das durch Erlösteilung nach Veräußerung des Familienheimes oder durch Zahlungen im Zugewinnausgleich erworben worden ist. Denn in diesen Fällen fällt es bei der Billigkeitsabwägung im Rahmen des § 1577 Abs. 3 BGB erheblich ins Gewicht, wenn auch dem anderen Ehegatten nach der Vermögensauseinandersetzung Vermögenswerte in entsprechender Höhe zur freien Verfügung verblieben sind (vgl. bereits BGH, Urteil vom 16.01.1985 – IVb ZR 59/83 – FamRZ 1985, 357, 359). Derartige Erwägungen können bei einer einseitig den unterhaltsberechtigten Ehegatten begünstigenden Erbschaft zwar nicht Raum greifen. Es kann daraus aber auch nicht gefolgert werden, dass eine Verwertung des Vermögensstammes schon deshalb der Billigkeit entspricht, weil der Unterhaltspflichtige kein Vermögen in vergleichbarer Höhe zur Verfügung hat (vgl. OLG Hamburg FamRZ 1996, 292, 295). Maßgeblich ist stets eine Betrachtung der Verhältnisse der Parteien im Einzelfall.

Dabei kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der in überdurchschnittlich guten Einkommensverhältnissen lebende Kläger auch nach Abzug von Kindes- und Ehegattenunterhalt noch über restliche Einkünfte verfügt, die den eheangemessenen Selbstbehalt weit übersteigen. Vor allem aber spricht die Versorgungssituation der Parteien gegen eine Obliegenheit der Beklagten zur Verwertung des durch Erbschaft erworbenen Vermögensstammes. Der Kläger zahlt derzeit neben den Höchstbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung allein 4.500,00 EUR im Jahr in die steuerlich geförderte betriebliche Altersversorgung (Direktversicherung, Entgeltumwandlung) ein und hat nach dem unbestrittenen Vorbringen der Beklagten daneben eine Immobilie in Hamburg erworben. Ein derartiges Versorgungsniveau kann die Beklagte aufgrund ihrer geringeren beruflichen Qualifikation durch eigene Erwerbstätigkeit erkennbar nicht erlangen. Eine Verwertung des durch Erbschaft erworbenen Vermögens würde es der mit 41 Jahren noch vergleichsweise jungen Beklagten auch erheblich erschweren, ihrerseits in eine Immobilie zur Altersvorsorge zu investieren. Eine Stammverwertung kann nach Ansicht des Senats daher (derzeit) nicht verlangt werden.

cc) Einzusetzen sind allerdings die Vermögenserträge."

Vermögensverwertung
bei geerbten Vermögen

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 03.06.2020 - 20 UF 83/19
Vermögen aus Erbschaft

Leitsätze:

1. Die Erträge aus einer nach der Trennung erfolgten Erbschaft sind, da sie die ehelichen Lebensverhältnisse nicht geprägt haben, bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs nicht zu berücksichtigen.

2. Der unterhaltsberechtigte Ehegatte hat jedoch, soweit dies der Billigkeit entspricht, seinen Vermögensstamm – gegebenenfalls teilweise – für seinen Unterhaltsbedarf zu verwenden.

(Zitat, Rn 72 ff): "Nach diesem Maßstab hat die Ag. einen Teil ihres Vermögens zur Deckung ihres Unterhaltsbedarfs zu verwerten. [...] Bei der gebotenen Billigkeitsabwägung ist zu berücksichtigen, dass die Vermögenswerte nicht aus dem Verkauf eines gemeinsamen Hauses, sondern aus einer Erbschaft stammt und dem Ast. somit kein entsprechender Vermögenswert zugeflossen ist. Entgegen der Ansicht der Ag. ist die Verwertung von Geldvermögen aus einer Erbschaft grundsätzlich billig (vgl. Staudinger/Verschraegen, BGB, Neubearb. 2014, § 1577 Rn. 85 mwN)."

(Zitat, Rn 78) "Das Vermögen der Ag. dient, neben dem sonstigen Einkommen der Ag., dazu, den Unterhalt der Ag. auf Lebenszeit zu sichern (vgl. BGH, Urteil vom 27.06.1984 - IVb ZR 20/83). Der Zeitraum, auf den das Vermögen zu verteilen ist, orientiert sich deshalb an der statischen Lebenserwartung der Ag. (85 Jahre) und beträgt somit 30 Jahre.

Anmerkung: Gemäß > § 1577 Abs. 3 BGB muss ein Unterhaltsberechtigter seinen Vermögensstamm ausnahmsweise nicht verwerten, soweit die Verwertung unwirtschaftlich oder unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse > unbillig wäre (BGH, Urteil vom 19. 5. 1999 - XII ZR 210–97). Die Verwertung von Geldvermögen aus einer Erbschaft ist grundsätzlich billig. Das Vermögen dient, neben dem sonstigen Einkommen, regelmäßig dazu, den Unterhalt auf Lebenszeit zu sichern. Der Zeitraum, auf den das Vermögen zu verteilen ist, orientiert sich deshalb an der statischen Lebenserwartung.


Verbot
der Doppelverwertung

Das > Verbot der Doppelverwertung besagt, dass ein wirtschaftlicher Umstand, der bereits im Unterhaltsrecht berücksichtigt wird, nicht zusätzlich im Güterrecht berücksichtigt werden darf und umgekehrt. Eine solche Schnittstelle kann entstehen, wenn einem unterhaltsbedürftigen Ehegatten um Rahmen eines > Zugewinnausgleichs erhebliches Vermögen zugeflossen ist und der unterhaltspflichtige Ehegatte jetzt einwendet, der andere Ehegatte sei nicht unterhaltsbedürftig, weil dieser sich mit Verwertung des aus dem Zugewinnausgleich erhaltenen Vermögens selbst unterhalten kann. Ob der Einwand des unterhaltspflichtigen Ehegatten greift, erfahren Sie hier
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Verschwundenes Vermögen
§ 1577 Abs.4 BGB

§ 1577 Abs.4 BGB
Gesetzestext


(1) ...

(2) ...

(3) ...

(4) War zum Zeitpunkt der Ehescheidung zu erwarten, dass der Unterhalt des Berechtigten aus seinem Vermögen nachhaltig gesichert sein würde, fällt das Vermögen aber später weg, so besteht kein Anspruch auf Unterhalt. Dies gilt nicht, wenn im Zeitpunkt des Vermögenswegfalls von dem Ehegatten wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann.


Anmerkung


> Unterhaltsrelevantes Vermögen kann die Bedürftigkeit des Ehegatten vermindern, soweit es tatsächlich vorhanden ist. Doch kann es Ausnahmesituationen geben, die dennoch unbillig erscheinen lassen, dem Ehegatten einen Unterhaltsanspruch zu gewähren, wenn ein ehemaliges Vermögen jetzt nicht mehr vorhanden ist.

BGH, Urteil vom 18.1.2012 - XII ZR 178/09
Vorhandenes & verschwundenes Vermögen


(Zitat, Rn 54f) "Steht das Vermögen dem Unterhaltsberechtigten (...) nicht mehr zur Verfügung, ist er insoweit unterhaltsbedürftig. Das die Bedürftigkeit verursachende Verhalten kann sich in diesem Fall nur nach der in § 1579 Nr. 4 BGB enthaltenen speziellen gesetzlichen Regelung auf den Unterhalt auswirken (Senatsurteil vom 11. April 1990 - XII ZR 42/89 - FamRZ 1990, 989, 991 mwN). Diese setzt voraus, dass der Berechtigte seine Bedürftigkeit mutwillig herbeigeführt hat, und hat die Versagung, Herabsetzung oder zeitliche Begrenzung des Unterhalts zur Folge.