
Europäisches Scheidungsrecht
Scheidung mit internationalen Bezügen
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OLG Hamm,
Beschluss vom 07.05.2013 - II-3 UF 267/12
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der Entscheidung
Amtl. Leitsatz:
1. § 65 Absatz IV FamFG entbindet das Beschwerdegericht nicht von
der vollumfänglichen Prüfung der internationalen Zuständigkeit.
Diese ergibt sich für den Scheidungsantrag ausländischer Ehegatten
mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland im
Falle der Eheschließung nach ausländischem religiösen (hier
islamisch-schiitischen) Recht auch nach dem Inkrafttreten der -> Rom-III-Verordnung (EU) in Deutschland zum
21.6.2012 weiterhin aus Art. 3 a) der -> Brüssel-IIa-Verordnung (EG) .
2. Für familiengerichtliche Ehescheidungsverfahren, die ab dem
21.6.2012 eingeleitet worden sind (vorliegend am 22.6.2012),
bestimmt sich die Frage, welches nationale Recht bei einem
grenzüberschreitenden Sachverhalt anzuwenden ist, allein nach den
Regelungen der Rom-III-Verordnung. Danach ist für nach
ausländischem Recht geschlossene Ehen gemäß Art 8 a) der
Rom-III-Verordnung im Falle des gewöhnlichen Aufenthalts beider
Ehegatten zum Zeitpunkt der Anrufung des Familiengerichts im
Bundesgebiet grundsätzlich deutsches Eherecht anwendbar,
jedenfalls, soweit nicht beide Ehegatten ausschließlich die
ausländische Staatsangehörigkeit haben und eine nach § 19 I
Rom-III-Verordnung vorrangige völkerrechtliche Vereinbarung der
beteiligten Staaten hierauf abstellt.
3. Eine gegenüber Art. 8 a) Rom-III-Verordnung vorrangige
Rechtswahl des ausländischen Eherechts durch die Ehegatten nach
Art. 5 Rom-III-Verordnung kann bereits vor dem Inkrafttreten der
Rom-III-Verordnung erfolgt sein. Dass die Ehegatten zum Zeitpunkt
der Bestimmung des ausländischen Rechtsregimes für die
Eheschließung und Ehescheidung nicht die faktische
Auswahlmöglichkeit eines anderen, insbesondere des deutschen
Eherechts hatten, ändert bei der gebotenen Auslegung nach dem
hypothetischen Willen der Ehegatten entsprechend den Grundsätzen
des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 242, § 313 Absatz I BGB)
nichts daran, dass - auch nach dem weiten Normzweck des Art. 5
Rom-III-Verordnung - in der einvernehmlichen Vereinbarung von
iranischen Ehescheidungsgründen zugunsten der Ehefrau in der
Heiratsurkunde entsprechend den Art. 1138 iran. ZGB, § 8 iran.
Gesetz zum Schutze der Familie eine wirksame Rechtswahl des
iranischen Scheidungsrechts liegen kann.
4. Der iranische Ehemann kann die iranische Ehefrau in der
Heiratsurkunde wirksam gemäß den Art. 1133,1134, 1138 iran. ZGB zu
dem Ausspruch der Scheidungsformel "Talaq" an seiner Stelle
bevollmächtigen. Die erforderliche Gegenwart zweier gerechter
Männer bei dem Scheidungsausspruch kann in der Gerichtsverhandlung
durch anwesende männliche Rechtsanwälte und Richter sichergestellt
sein.
5. Lebt der Ehemann mit der Ehefrau in Deutschland für die Dauer
von zumindest sechs Monaten zusammen von SGB-II-Leistungen, ohne
der Ehefrau aus eigenen Mitteln "Unterhaltsgeld" zu zahlen, liegt
der Scheidungsgrund des § 8 Nr. 2 iran. Gesetz zum Schutze der
Familie vor, ohne dass die Ehefrau bei erkennbarer
Leistungsunfähigkeit zunächst erfolglos versuchen müsste, den
Ehemann durch ein gerichtliches Verfahren und einen
Vollstreckungsversuch zur Unterhaltszahlung zu zwingen.
6. Der Scheidungsgrund des § 8 Nr. 4 iran. Gesetz zum Schutze der
Familie (schlechtes Benehmen und Verhalten des Ehemannes gegenüber
der Ehefrau, für die das Weiterführen des Ehelebens nicht mehr
aushaltbar ist) kann im Falle hochstrittiger außergerichtlicher
Auseinandersetzungen der Ehegatten vor der Trennung und einer
Vielzahl darauf fußender familien- und strafgerichtlicher Verfahren
auch ohne eine bereits rechtskräftige Verurteilung des Ehemannes
wegen ihm vorgeworfener Straftaten gegen die Ehefrau trotz des
Grundsatzes "In dubio pro reo" festgestellt werden, wenn bei einer
Gesamtwürdigung jedenfalls erhebliches Fehlverhalten des Ehemannes
als maßgeblicher Grund für die Trennung und das Scheitern der Ehe
vorliegt.
7. Ein Verstoß der gerichtlichen Entscheidung zur Ehescheidung nach
ausländischem Recht gegen den deutschen Ordre public (Art. 12
Rom-III-Verordnung) oder das Verbot der Ungleichbehandlung (Art. 10
Rom-III-Verordnung) liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die
iranische Ehefrau nach beiden Rechtsordnungen unter zumutbaren
Voraussetzungen die Ehescheidung beantragen kann. Dies ist
vorliegend der Fall, weil sie auch nach deutschem
Ehescheidungsrecht trotz noch nicht dreijähriger räumlicher
Trennung wegen nachgewiesener einseitiger Zerrüttung der Ehe gemäß
den §§ 1565 II,1566 I, § 1567 BGB die Ehescheidung beantragen
kann.