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Staatliche Leistungen für Kinder - Wann gelten Sie als Einkommen des Kindes und entlasten Eltern von ihrer Unterhaltspflicht?

FAQ – Das Wichtigste in Kürze

  1. Es gilt der allgemeine Grundsatz, dass staatliche Hilfeleistungen subsidiär erbracht werden, d.h. die Leistungspflicht des Unterhaltsschuldners gilt vorrangig. Mit anderen Worten: alles, was der Staat als Hilfe erbringt, holt er sich nach Möglichkeit vom Unterhaltsschuldner wieder. Dafür stellt der Gesetzgeber dem Sozialträger Regressansprüche zur Verfügung. So z.B. bei staatlichen Unterhaltsvorschussleistungen für Kinder.
  2. Doch es gibt Ausnahmen: Staatliche Hilfeleistungen für Kinder können die Bedürftigkeit des Kindes an Unterhalt von den Eltern vermindern, wenn diese Leistungen als Einkommen des Kindes qualifiziert werden, wie z.B. beim Kindergeld oder Kinderzuschlag nach § 6a BKGG. Bei welchen sonstigen staatlichen Leistungen für Kinder ist das noch der Fall?
  3. Für den Ausbildungsbedarf eines Kindes kann es staatliche Ausbildungsförderungen in Form von
    1. BAföG,
    2. Berufsausbildungbeihilfe (§ 56 SGB III), 
    3. Ausbildungsgeld (§ 122 SGB III) sowie
    4. Eingliederungshilfe (= Sozialhilfe: § 8 Ziff.4 und §§ 53 bis 60 SGB XII)
      geben. Sind diese Förderleistungen Einkommen des Kindes?
  4. Heimunterbringung: Hierfür kann es Hilfen nach dem Kinder- und Jugendhilferecht geben (SGB VIII).
  5. Sozialhilfe-Leistungen kommen nach dem SGB XII in Betracht. Solche Leistungen zählen nicht als Einkommen.
  6. Erwerbsminderung: Wann erhalten Kinder wegen Erwerbsminderung staatliche Hilfen?



Vorrang
staatlicher Leistungen vor Unterhalt?

Staatliche Leistung
Rückgriff auf den Unterhaltspflichtigen


Jede staatliche Förderung folgt hier seinen eigenen Spielregeln und ist äußerst differenziert zu behandeln. Hier können nur die Grundsätze und
nicht sämtliche Details und Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigt werden. Hier soll auf den Einfluss der staatlichen Leistungen auf die Unterhaltspflicht der Eltern nach § 1601 BGB eingegangen werden.
Die meisten staatlichen Hilfeleistungen sehen eine Kostenbeteiligung der unterhaltspflichtigen Familienmitglieder mit Regressmöglichkeiten vor. Dazu bedarf es seitens des Sozialträgers einer Rechtswahrungsanzeige.

Angehörigen-Entlastungsgesetz seit 2020
bei Leistungen nach SGB XII


  • Weiterführende Literatur:
    » Heinrich Schürmann, Das Angehörigen-Entlastungsgesetz, in: FF 2020, 48
    » Wolfram Viefhues, Auswirkungen des Angehörigen-Entlastungsgesetz auf den Elternunterhalt, in: juris

Mit dem Gesetz sollen Kinder und Eltern, die gegenüber Leistungsbeziehern nach dem SGB XII unterhaltsverpflichtet sind, entlastet werden. Wer Sozialhilfe bekommt, musste in vielen Fällen befürchten, dass das Sozialamt Angehörige zu Unterhaltszahlungen verpflichtet. Wenn etwa Eltern pflegebedürftig werden und nicht genug Geld für die Pflege vorhanden ist, übernimmt das Sozialamt häufig die Kosten (sogenannte "Hilfe zur Pflege"). In vielen Fällen holt sich das Sozialamt aber das Geld von den Angehörigen zurück.

  • Mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz wird die Situation für unterhaltsverpflichtete Eltern und Kinder von Hilfebedürftigen in der Sozialhilfe, aber auch in der Eingliederungshilfe und dem sozialen Entschädigungsrecht wesentlich verbessern. Verdienen die betroffenen Unterhaltspflichtigen im Jahr bis zu 100.000 €, müssen sie dem Sozialamt die entstandenen Kosten in der Regel nicht mehr erstatten. Diese Schwelle zur Unterhaltsentlastung galt bisher nur bei Leistungen der Grundsicherung im Rentenalter und für schwerbehinderte volljährige Kinder.
  • Ab 2020 müssen Eltern und Kinder unterhaltsberechtigter Leistungsbezieher erst ab einem Jahresbruttoeinkommen von mehr als 100.000 € (je unterhaltspflichtiger Person) für die Kosten mit herangezogen werden. Ab dem 1. Januar 2020 wird die Möglichkeit eines Unterhaltsrückgriffs durch den Sozialhilfeträger eingeschränkt. Der Unterhaltsverpflichtete muss nichts weiter tun. Es wird angenommen, dass das Einkommen der unterhaltsverpflichteten Personen in der Regel nicht über 100.000 € pro Jahr liegt.
  • Zusätzlich werden unterhaltspflichtige Eltern entlastet, deren volljährige Kinder Eingliederungshilfe erhalten. Sie müssen künftig keine Beiträge mehr für die Leistungen ihrer Kinder leisten.

Auskunft zum Einkommen
Auskunftsansprüche des Trägers der Sozialhilfe



Auskunftspflicht
nach dem Angehörigen-Entlastungsgesetz gem. § 94 Abs. 1a SGB XII


  • Unterhaltsansprüche gegenüber Kindern und Eltern werden nur berücksichtigt, wenn ihr jährliches Gesamteinkommen mehr als 100.000 Euro beträgt (§ 16 des SGB IV). Wenn dies nicht der Fall ist, können die Ansprüche nicht übertragen werden.
  • Es wird vermutet, dass das Einkommen der unterhaltspflichtigen Personen nach Satz 1 die Jahreseinkommensgrenze nicht überschreitet.
  • Zur Widerlegung der Vermutung kann der jeweils für die Ausführung des Gesetzes zuständige Träger von den Leistungsberechtigten Angaben verlangen, die Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse der Unterhaltspflichtigen nach Satz 1 zulassen.
  • Liegen im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze vor, so ist § 117 SGB XII anzuwenden.

Auskunftspflicht
wegen § 117 Abs.1 SGB XII – Gesetzestext


(1) Die Unterhaltspflichtigen, ihre nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner und die Kostenersatzpflichtigen haben dem Träger der Sozialhilfe über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben, soweit die Durchführung dieses Buches es erfordert. 2Dabei haben sie die Verpflichtung, auf Verlangen des Trägers der Sozialhilfe Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. 3Auskunftspflichtig nach Satz 1 und 2 sind auch Personen, von denen nach § 39 trotz Aufforderung unwiderlegt vermutet wird, dass sie Leistungen zum Lebensunterhalt an andere Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft erbringen. 4Die Auskunftspflicht der Finanzbehörden nach § 21 Abs. 4 des Zehnten Buches erstreckt sich auch auf diese Personen.

Anmerkung: Hat die leistungsberechtigte Person, für die Leistungen erbracht werden, nach bürgerlichem Recht einen Unterhaltsanspruch, geht dieser bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen zusammen mit dem unterhaltsrechtlichen Auskunftsanspruch auf den Träger der Sozialhilfe über (§ 94 Abs. 1 S. 1 SGB XII). Der unterhaltsrechtliche Auskunftsanspruch besteht neben dem Auskunftsanspruch nach § 117 Abs. 1 SGB XII, sodass der Träger der Sozialhilfe zwischen beiden wählen kann.


Eingliederungshilfe
für schulpflichtige Kinder

„Hilfe zum Lebensunterhalt“ ist das, was im allgemeinen Sprachgebrauch als „Sozialhilfe“ bezeichnet wird. Sie deckt grundlegende Bedürfnisse wie Ernährung, Kleidung und Körperpflege, wenn der Hilfesuchende selbst kein Einkommen oder Vermögen hat. Für schulpflichtige Kinder kommt Sozialhilfe meist als Eingliederungshilfe für auswärtig untergebrachte behinderte Kinder in Betracht (§ 8 Ziff.4 und §§ 53 bis 60 SGB XII).

Auszubildende, die über die Bundesausbildungsförderung (BAföG) oder die Berufsausbildungsbeihilfe der Agentur für Arbeit (§§ 60 - 62 SGB III) dem Grunde nach gefördert werden können, haben keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt (Nachrang der Sozialhilfe: § 2 Abs.1 SGB XII).

Es kommt nicht darauf an, ob jemand tatsächlich eine solche Förderung erhält, sondern darauf, ob die Ausbildung als solche gefördert werden kann. Bei Eingliederungshilfe werden von den unterhaltspflichtigen Eltern („Einstandspflichtige") Kostenbeiträge in der Höhe gefordert, in der Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt tatsächlich erspart wurden. Die Kostenbeiträge können unterschiedlich hoch ausfallen. Die Höhe der ersparten häuslichen Aufwendungen ist anhand der tatsächlichen Umstände zu ermitteln. Ersparnisse müssen tatsächlich und nicht nur fiktiv entstanden sein (BVerwG, Urteile v. 4.7.1974, V C 42.73). Die Höhe der ersparten Aufwendungen hängt schließlich auch wesentlich davon ab, ob der behinderte Mensch in einer voll- oder teilstationären Einrichtung untergebracht ist. Denn bei teilstationärer Unterbringung werden regelmäßig nur die häuslichen Mahlzeiten erspart.

SG Karlsruhe, Urteil vom 22. Juli 2011 - S 1 SO 5198/10
Kostenbeitrag der Eltern bei Eingliederungshilfe für behinderte Kinder


(Zitat) „Eingliederungshilfen für behinderte Menschen nach den Bestimmungen des Sechsten Kapitels SGB XII werden geleistet, soweit unter anderem bei minderjährigen und unverheirateten Leistungsberechtigten ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels SGB XII nicht zuzumuten ist (§ 19 Abs. 3 SGB XII). Nähere Bestimmungen zu Einkommen und Vermögen enthalten die §§ 82 ff. SGB XII . Für Leistungen in einer stationären Einrichtung aufgrund einer Behinderung - wie im Fall der Hilfeempfängerin – enthält § 92 SGB XII eine Beschränkung der Anrechnung von Einkommen und Vermögen. Die Vorschrift betrifft die sogenannte erweiterte Hilfe. Sie ist eine Sondervorschrift im Rahmen der Eingliederungshilfe und trägt dem Faktizitätsprinzip Rechnung. Danach muss der Hilfeempfänger in bestimmten Fällen der Eingliederung von behinderten Menschen unabhängig von der Bedürftigkeit des Hilfesuchenden oder der nach § 19 Abs. 3 SGB XII Einstandspflichtigen in Vorleistung treten. Die Vorschrift stellt sicher, dass bestimmte, in § 92 SGB XII abschließend genannte Maßnahmen der Eingliederungshilfe nicht davon abhängig gemacht werden, dass die in § 19 Abs. 3 SGB XII genannten Personen, die ihnen zumutbaren Kostenbeiträge bereits beigesteuert haben (vgl. zum Ganzen Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Auflage 2010, Rand-Nr. 1 und 2 sowie Bieritz-Harder in LPK-SGB XII, 8. Auflage 2008, § 92, Rand-Nr. 2). Der Einstandspflichtige ist zu den Aufwendungen in Form eines Kostenbeitrages heranzuziehen ; dies erfolgt durch einen Leistungsbescheid (§ 92 Abs. 1 Satz 2 SGB XII). Mit der Geltendmachung des Kostenbeitrages nach § 92 Abs. 1 Satz 2 SGB XII soll das gesetzliche Rangverhältnis zwischen der (vorrangigen) Hilfe durch die Familiengemeinschaft und der (nachrangigen) Sozialhilfe wieder hergestellt werden (vgl. Behrend in Juris PK-SGB XII, 1. Auflage 2010, § 92, Rand-Nr.13 mit weiteren Nachweisen).3.) Nach § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII ist den in § > 19 Abs. 3 SGB XII genannten Personen bei der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung einschließlich der Vorbereitung hierzu die Aufbringung der Mittel nur für die Kosten des Lebensunterhaltes zuzumuten. Die Kosten des in einer Einrichtung erbrachten Lebensunterhalts sind unter anderem in den Fällen des § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII nur in Höhe der für den häuslichen Lebensunterhalt ersparten Aufwendungen anzusetzen (§ 92 Abs. 2 Satz 3, 1.Halbsatz SGB XII). Die Beschränkung auf die Kosten des Lebensunterhaltes bedeutet zunächst, dass Aufwendungen des Sozialhilfeträgers für die besonderen Hilfen nicht zu erstatten sind. Die Kosten des Lebensunterhaltes können nur noch dann Bestandteil der besonderen Hilfen sein, wenn sie gleichzeitig integraler Bestandteil der Eingliederungshilfe sind (vgl. Behrend, a.a.O., Rand-Nr. 23). Eine Heranziehung ist daher insbesondere nicht möglich zu den Kosten der Betreuung und Pflege, zu den Kosten ärztlicher oder ärztlich verordneter Maßnahmen, zu Leistungen zur Förderung und Erhaltung der Arbeitsfähigkeit und -bereitschaft sowie zu den Kosten der pädagogischen und sozialen Betreuung und der arbeitstherapeutischen Maßnahmen (vgl. Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Auflage 2010, § 92 Rn. 26)."

Unterbringung im Heim
nach Kinder- und Jugendhilferecht (SGB VIII)

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.03.2013 - 5 C 16/12
Zum Kostenbeitrag der Eltern bei Heimunterbringung nach Maßgabe der Kinder – und Jugendhilfe (SGB VIII)

Das Jugendhilferecht sieht im SGB VIII zahlreiche Möglichkeiten für staatliche Hilfen vor. Diese reichen von Jugendsozialarbeit bis hin zur Heimunterbringung durch das Jugendamt (Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII. Für solche Maßnahmen werden von den Eltern Kostenbeiträge nach §§ 90 SGB VIII erhoben. Die Eltern werden hierbei getrennt entsprechend ihrem Einkommen unter Berücksichtigung ihrer Belastungen und ihrer sonstigen Unterhaltspflichten durch Leistungsbescheid zu einem Kostenbeitrag herangezogen (vgl. §§ 92 bis 94 SGB VIII). Die Kostenbeiträge werden zwar ähnlich dem Unterhaltsrecht, jedoch nicht in gleichem Umfang erhoben. Fakt ist jedenfalls, dass das beitragsrelevante Einkommen dem unterhaltsrelevanten Einkommen entspricht. Dies ergibt sich aus § 93 SGB VIII. Zur Beitragsgrenze bei Unterschreiten des unterhaltsrechtlichen Selbstbehalts: Bundesverfassungsgerichts, Beschluss vom 20.08.2001- 1 BvR 1509/97, NJW-RR 2002, 73. Der Gesetzgeber hat hier Beschränkungen des Kostenbeitrags auf den „angemessenen Umfang“ festgesetzt. (§ 94 Abs. 1 SGB VIII). Dies spricht dafür, die Kostenbeitragspflicht dort enden zu lassen, wo auch gemäß § 1603 Abs. 1 BGB die Grenze der Leistungsfähigkeit gezogen wird. Siehe eben genannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20.08.2001.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 04.05.2017 - 18 WF 33/16
Vorrang der staatlichen Erziehungshilfe vor Kindesunterhalt bei Heimunterbringung nach Maßgabe der Kinder - und Jugendhilfe (SGB VIII)

Anmerkung: Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Kind sollte im Rahmen der Hilfe zur Erziehung in einem Heim untergebracht werden. Der Vater, der aufgrund einer Jugendamtsurkunde vom August 1999 Unterhalt für sein Kind zahlte, beantragte daraufhin die Abänderung seiner Unterhaltspflicht dahingehend, dass seine Unterhaltspflicht ab diesem Zeitpunkt entfällt.

Das Oberlandesgericht Karlsruhe entschied zugunsten des Vaters. Seine Unterhaltspflicht entfalle. Denn mit der Unterbringung des Kindes in einem Heim zwecks Erziehung gemäß § 34 SGB VIII sei dessen Lebensbedarf vollständig gedeckt.
  • Die für ein außerhalb des Elternhauses untergebrachtes Kind erbrachten Hilfen zur Erziehung umfassen gemäß § 39 Abs. 1 SGB VIII sowohl die Kosten des laufenden Lebensbedarfs als auch der Pflege und Erziehung. Nach Auffassungen des Oberlandesgerichts seien die Leistungen der Jugendhilfe nicht nachrangig zum Unterhaltsanspruch des Kindes, sondern gehören insgesamt zum bedarfsdeckenden Einkommen des Kindes. § 10 Abs.2 S.2 SGB VIII ordnet an, dass der Bedarf des jungen Menschen durch Leistungen und vorläufige Maßnahmen nach dem SGB VIII gedeckt ist und dies bei der Berechnung des Unterhalts berücksichtigt werden muss. Dem Grunde nach besteht die zivilrechtliche Unterhaltsverpflichtung. Doch tritt durch die Leistungen des Kinder- und Jugendhilferechts unterhaltsrechtliche Bedarfsdeckung ein.
  • § 92 Abs.2 SGB VIII regelt, dass die Heranziehung der dem Grunde nach unterhaltspflichtigen Personen durch Erhebung eines Kostenbeitrags erfolgt. Zum Umfang der Heranziehung enthält § 94 Abs.4 SGB VIII eine Verordnungsermächtigung. Für seinen Rückgriff gegen die unterhaltspflichtigen Personen ist der Träger der Kinder- und Jugendhilfe stets auf einen öffentlich-rechtlichen Kostenbeitrag verwiesen. Eltern schulden einen Kostenbeitrag erst von dem Zeitpunkt ab, in dem ihnen eine den Anforderungen von § 92 Abs.3 S.1 SGB VIII entsprechende  Rechtswahrungsanzeige zugegangen ist.
  • Aus § 92 Abs.2 SGB VIII folgt, dass Eltern stets getrennt zu Kostenbeiträgen heranzuziehen sind. Deshalb kann der einem minderjährigen Kind gegenüber bislang allein barunterhaltspflichtige Elternteil von dem anderen Elternteil, nachdem das Kind im Rahmen von Hilfe zur Erziehung aus dessen Haushalt in eine betreute Wohnform gewechselt ist, keine Auskunft über die Einkommensverhältnisse verlangen. Die Auskunft ist wegen vollständiger Bedarfsdeckung des Kindes durch die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe für einen Antrag auf Abänderung eines bestehenden Kindesunterhaltstitels ebenso wenig erforderlich, wie zur Prüfung der Höhe seines an den Träger der Jugendhilfe zu erbringenden Kostenbeitrags, da sich dieser ausschließlich nach seinem eigenen Einkommen bemisst.
  • Ein Kostenbeitrag ist aber nur angemessen i. S. von § § 94 Abs.1 S.1 SGB VIII, wenn der herangezogenen Person wenigstens sein unterhaltsrechtlicher Selbstbehalt verbleibt.


  • Weiterführende Links:
    » Unterhaltspflichten der Eltern bei außwärtiger Unterbringung des Kindes.

Grundsicherung
für voll erwerbsgeminderte volljährige Kinder

Volle Erwerbsminderung


Im Rahmen des betreuten Wohnens können behinderte Menschen eine Eingliederungshilfe nach VI. Kapitel SGB XII und zusätzlich Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach IV. Kapitel SGB XII beanspruchen (Muster: Leistungsberechnung). Der Anspruch auf Grundsicherungsleistungen wegen Vollerwerbsminderung ist an folgende Voraussetzung geknüpft: Wenn es jemand wegen Behinderung oder Krankheit nicht mehr schafft, mindestens drei Stunden am Tag zu arbeiten, ist er voll erwerbsgemindert. Ein anderer Ausdruck dafür ist: erwerbsunfähig. Der Gesetzestext lautet: „Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein“ (§ 43, Abs. 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind automatisch: Beschäftigte einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) Menschen, die eine Tagesförderstätte oder Fördergruppe einer WfbM besuchen. Die Reha-Abteilung der Agentur für Arbeit prüft, ob volle Erwerbsminderung vorliegt. Für die Klärung von Unterhaltsverpflichtungen sind die Voraussetzungen für die Grundsicherungsleistung abzuklären.

Grundsicherung vor Unterhalt


Erbringen Sozialträger nach SGB XII Sozialhilfeleistungen (siehe Leistungskatalog nach § 8 SGB XII) stellt sich dem Sozialträger stets die Frage, ob er seine Leistungen von den Personen wieder zurückfordern kann (Regressforderung), die gegenüber der leitungsberechtigten Person unterhaltspflichtig sind. Diese Frage regelt § 94 SGB XII für die verschiedenen Sozialhilfearten (§ 8 SGB XII) in unterschiedlicher Ausprägung.

  1. Nach § 94 Abs.1 SGB XII besteht grundsätzlich eine solche Regressmöglichkeit gegen die unterhaltspflichtigen Personen. Dies spielt in der Praxis vor allem bei der Hilfe der Sozialträger zur Pflege im Pflegeheim (VII. Kapitel SGB XII) eine große Rolle.
  2. Eine Sonderrolle spielen dabei Grundsicherungsleistungen für Menschen im Alter über der Altersgrenze nach § 41 SGB XII) und volljährige behinderte Menschen (= Leistungen nach dem IV. Kapitel SGB XII). Grundsicherung (= Leistungen nach IV. Kapitel SGB XII) wird gem. § 43 Abs.3 SGB XII ohne Rücksicht auf mögliche Unterhaltsprüche der Sozialleistungsberechtigten erbracht, soweit das jährliche Gesamteinkommen nach § 16 SGB IV der Unterhaltspflichtigen den Freibetrag von 100.000,– € nicht übersteigt. Bis zu diesem Freibetrag ist bei Grundsicherungsleistungen (IV. Kapitel SGB XII) auch der Regress des Sozialträgers gegen die Unterhaltspflichtigen nicht möglich (§ 94 Abs.1 S.3 2.Hs. SGB XII). Unterhaltspflichtige Eltern können wegen Leistungen nach VII. (= Pflegeleistungen) und VI. Kapitel (Eingliederungshilfe) SGB XII nur in Höhe von bis zu 26 € in Regress genommen werden (§ 94 Abs.2 S.1 SGB XII).

Hinweis: Die gegenüber volljährigen behinderten Kindern unterhaltspflichtigen Eltern dürfen Ihre Unterhaltszahlungen einstellen und das nach IV. Kapitel SGB XII grundsicherungsberechtigte Kind darauf verweisen, dass es vorrangig Leistungen der Grundsicherung in Anspruch nimmt. Bestehende Unterhaltstitel müssen in diesem Fall vom Familiengericht aufgehoben werden (Abänderung von Unterhaltstiteln).

AG München, Beschluss vom 23.10.2013- 532 F 659/12
Vorrang der Grundsicherung vor Ausbildungsunterhalt

Anmerkung: Der Beschluss weist u.a. auf die Obliegenheit zur rechtzeitigen Antragstellung auf Grundsicherungsleistungen hin. Somit kann es zur fiktiven Zurechnung von Grundsicherungsleistungen kommen.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 02.01.2007- 9 UF 159/06
Volljährige behinderte Kinder – Vorrang der Grundsicherung vor Unterhalt

(Zitat) „Grundsicherungsleistungen nach den §§ 41 ff. SGB XII bezwecken die Sicherstellung einer würdigen und unabhängigen Existenz des Bedürftigen. Der Hintergrund der gesetzlichen Regelung dieser Leistungen liegt im Zusammenhang von Unterhalts- und Sozialhilferecht und der Furcht gerade älterer Menschen vor dem Unterhaltsrückgriff des Sozialhilfeträgers auf ihre Kinder; vergleichbar ist die Lage bei dauerhaft voll Erwerbsgeminderten (vgl. insgesamt Klinkhammer, FamRZ 2002, 997 ff.). Privilegiert sind dabei Unterhaltsansprüche von Kindern gegen ihre Eltern (Kindesunterhalt) und von Eltern gegen ihre Kinder (Elternunterhalt), sofern das jährliche Einkommen des Unterhaltspflichtigen unter 100.000 Euro liegt (§ 43 Abs. 2 Satz 1 SGB XII). In diesen Fällen wird der Unterhaltsanspruch nicht auf die Grundsicherungsrente angerechnet. Damit sind die Leistungen auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im Verhältnis privilegierter Unterhaltsbeziehungen anders als Sozialhilfe und ALG II nicht eine subsidiäre, im Verhältnis zum Unterhaltsanspruch nachrangige Leistung. Der eigene Bedarf muss deshalb zunächst durch den Bezug von Grundsicherungsleistungen nach den §§ 41 ff. SGB XII gedeckt werden; insoweit besteht sogar ein Vorrang der Leistungen auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gegenüber dem Unterhaltsanspruch.

Nimmt der Unterhaltsberechtigte ihm zustehende Grundsicherungsleistungen nicht in Anspruch, sind ihm diese daher fiktiv bedarfsdeckend zuzurechnen (Brandenburgisches OLG, FamRB 2004, 287 [Götsche]). Die Darlegungslast trägt insoweit der Unterhaltsberechtigte
.“

  • Weiterführende Links & Literatur:
    » OLG Naumburg, Beschluss vom 25.6.2008 - 4 WF 42/08
    » BGH, Urteil vom 20. Dezember 2006 - XII ZR 84/04
    » Pfuhlmann-Riggert, Unterhaltspflicht gegenüber dem volljährigen behinderten Kind, in: NZFam 2021, 159
    » Grit Koschinski, Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung


Berufsausbildungsbeihilfe (§ 56 SGB III)
und Ausbildungsgeld (§ 122 SGB III)

Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) wird während einer Berufsausbildung sowie während einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme (BvB) einschließlich der Vorbereitung auf den nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses oder eines gleichwertigen Schulabschlusses geleistet. Ob ein Anspruch besteht, kann mithilfe des BAB (Berufsbeihilfe)-Rechner der Bundesagentur für Arbeit ermittelt werden.

Die berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme (BvB) nach § 51 SGB III ist ein Ausschnitt der Leistungen nach dem SGB III (Arbeitsförderung). Sie ist u.a. für behinderte Kinder (§ 19 SGB III) vorgesehen und verfolgt das Ziel, Menschen den Einstieg bzw. Wiedereinstieg in das Berufsleben zu erleichtern bzw. erst zu ermöglichen. Insbesondere sollen Voraussetzungen für die Aufnahme einer Berufsausbildung geschaffen werden, die durch die Schulbildung nicht erreicht wurden.

Auszubildende erhalten Berufsausbildungsbeihilfe, wenn sie während der Berufsausbildung nicht bei den Eltern wohnen. Ausbildungsgelder erhalten im Regelfall jugendliche behinderte Menschen, die noch keine Berufsausbildung absolviert haben. Im Rahmen der BvB-Maßnahmen wird unterschieden zwischen sog. „allgemeinen“ BvB nach SGB III und einer Reha spezifischen BvB mit besonders ausgeprägtem Förderbedarf (Rehabilitations- und Behindertenlehrgänge für durch Krankheit oder Behinderung benachteiligte junge Menschen), bei der die Förderung in Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation im Sinne des § 35 SGB IX (Berufsbildungswerke, Berufsförderungswerke und vergleichbare Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation) erfolgt. Die Leistungen der Träger solcher Einrichtungen werden im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit (BAA) vor Ort durchgeführt.

Berufsvorbereitende Leistungen der BAA werden bedarfsbezogen erbracht (§§ 61 ff. SGB III). Die Höhe der Bedarfssätze und damit der Leistungsumfang sind abhängig von der Art der Ausbildung (Berufsausbildung oder berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme) und der Art der Unterbringung.

Bedarfssätze für den Lebensunterhalt

Art der Unterbringung

Berufsausbildung

berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen

Im Haushalt der Eltern

kein Anspruch

216 Euro

Außerhalb des Haushalts der Eltern

348 Euro Grundbedarf + 149 Euro Pauschale für Miete + maximal 75 Euro Zuschlag, soweit die nachweisbaren Mietkosten 149 Euro übersteigen

391 Euro Grundbedarf Miete + maximal 74 Euro Zuschlag, soweit die nachweisbaren Mietkosten 58 Euro übersteigen

Im Wohnheim oder Internat mit voller Verpflegung

90 Euro + vereinbarte Entgelte für Verpflegung und Unterbringung; bei unter 18-Jährigen zusätzliche Entgelte für sozialpädagogische Begleitung

90 Euro + vereinbarte Entgelte für Verpflegung und Unterbringung; bei unter 18-Jährigen zusätzliche Entgelte für sozialpädagogische Begleitung

Im Haushalt der oder des Ausbildenden mit voller Verpflegung

90 Euro + Bedarf nach den Werten der Sozialversicherungsentgeltverordnung


Berechnung der Berufsausbildungsbeihilfe

nach dem Bedarfsprinzip bei Berufsausbildung


Bedarf für den Lebensunterhalt – § 61 SGB III
+ Bedarf für die Fahrkosten – § 63 SGB III
+ Bedarf für sonstige Aufwendungen – § 64 SGB III

= Gesamtbedarf

./. Einkommensanrechnung – § 67 SGB III: Einkommen der oder des Auszubildenden, Einkommen der Person, mit der er oder sie verheiratet oder in einer Lebenspartnerschaft verbunden ist und Einkommen ihrer oder seiner Eltern

= ungedeckter Bedarf = Berufsausbildungsbeihilfe

Einkommensanrechnung bei BvB


Eltern schulden ihren Kindern Unterhalt, auch während der Ausbildung. Deshalb wird BAB von der Arbeitsagentur nur gezahlt, wenn die Eltern nicht genug Geld haben, um ihre Kinder selbst zu unterstützen. Ein Anspruch der oder des Auszubildenden auf Unterhaltsleistungen gegen ihre oder seine Eltern geht bis zur Höhe des anzurechnenden Unterhaltsanspruchs zusammen mit dem unterhaltsrechtlichen Auskunftsanspruch, mit der Zahlung der Berufsausbildungsbeihilfe auf die Agentur für Arbeit über. Die Agentur für Arbeit hat den Eltern die Förderung anzuzeigen. Ist die Unterhaltsleistung trotz des Rechtsübergangs mit befreiender Wirkung an die Auszubildende oder den Auszubildenden gezahlt worden, hat die oder der Auszubildende diese insoweit zu erstatten (§ 68 Abs2 SGB III). Wenn es sich um eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme handelt, wird Einkommen grundsätzlich nicht angerechnet (Quelle: wwwarbeitsagentur.de; § 67 Abs.4 SGB III).

Praxistipp


In der Regel ist eine Bedarfsrechnung unter Einbeziehung des Einkommens der Eltern durchzuführen. Somit tritt keine Entlastung von der Barunterhaltsplicht ein, wenn wegen des sozialrechtlich relevanten Einkommens der Eltern die Bedürftigkeit des Kindes nach Leistungen gem. SGB III ausschließt. Handelt es sich bei der Maßnahme aber um eine förderungswürdige berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme, wird diese unabhängig vom Einkommen der Eltern geleistet und deckt den Unterhaltsbedarf des Kindes. Selbst eine Kostenbeteiligung der Eltern in Höhe ersparter Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt ist nicht gegeben.


BAföG

BAföG ist Einkommen des Kindes. Der Bezug von BAföG-Leistungen ist bedarfsdeckend anzurechnen. Die damit geringere Bedürftigkeit entlastet die Eltern von ihrer Barunterhaltspflicht.

Links & Literatur



Links



Literatur


  • Heinrich Schürmann, Das Angehörigen-Entlastungsgesetz, in: FF 2020, 48
  • Werner Reinken, Das behinderte Kind im Unterhalt, in: NZFam 2019, 1025

In eigener Sache


  • Staatliche Hilfe zur Erziehung & Kostenbeitrag der Eltern - zur Berechnung der Beitragshöhe - Widerspruchsbescheid des LRA Calw vom 21.08.2017, unser Az.: 133/15
  • Rehabilitationsmaßnahme für Kind und Einkommen der Eltern, unser Az.: 328/13 (Mandanteninformation: D3/37-14)
  • Vorrang von Grundsicherung vor Kindesunterhalt, unser Az.: 191/14 (D4/940-14; D3/609-14)
  • Ausbildung für behinderte Menschen mit Förderbedarf (Reha-Ausbildung nach § 117 SGB III), unser Az.: 217/15
  • Zur Verwirkung des Kostenbeitragsanspruchs der Jugendhilfe, unser Az.: 133/15 (D3/708-15)
  • Zur Rechtswahrungsanzeige, unser Az.: 133/15 (D3/605-15)