Bei Vertragsabschluss gelogen und betrogen!
Was jetzt?

Kam es zum Abschluss einer sog. > Scheidungsfolgevereinbarung oder einer einvernehmlichen > Vereinbarung zum Unterhalt, kommt es in der Praxis nicht selten vor, dass sie auf falscher Grundlage basieren; z.B. einer der Ehegatten und Vertragspartner hat evtl. gelogen oder (bewusst) Details und Unterlagen verschwiegen (zur ungefragten Auskunftspflicht > hier.). Dann ist an die > Anfechtung der Einigung wegen Irrtum oder Täuschung zu denken. Eine wirksame Anfechtung hat zur Folge, dass die Vereinbarung als von Anfang an nichtig gilt (§ 142 BGB).

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Abänderung
oder Anfechtung?

Abänderungsgrund


Die Frage nach Abänderungsmöglichkeiten von Vereinbarungen stellt sich in der Praxis häufig bei Einigungen über > Unterhaltssachen. Vereinbarungen sind Verträge, deren Bindungswirkung sich daraus ergibt, dass die Vertragspartner sich übereinstimmend auf die Wirksamkeit verständigt haben (> Rechtsbindungswille). Treten nach Vertragsabschluss Situationen oder Umstände auf, die den Schluss zulassen, dass bei Kenntnis dieser Umstände kein übereinstimmender Bindungswille entstanden wäre, liegt darin ein > Abänderungsgrund. Es sind solche Umstände, mit denen keiner der Vertragsparteien gerechnet hat oder rechnen musste. Die Vereinbarung basiert dann auf Grundlagen, die beide Parteien als > Geschäftsgrundlage der Vereinbarung anerkannt haben, die jedoch nicht mehr vorhanden ist. Abänderungsgrund kann sein:

  • Die übereinstimmend angenommenen und akzeptierten Berechnungsgrundlagen für die Unterhaltsvereinbarung haben sich wesentlich geändert.
  • Ein Abänderungsgrund liegt immer dann vor, wenn sich durch spätere Entwicklungen und Veränderungen der Vertragsgrundlagen die ursprüngliche Vereinbarung als "nicht mehr haltbar (gewollt)" herausstellt: > mehr.

  • Weiterführende Links:
    » Abänderung von Vereinbarungen

Anfechtungsgrund


BGH, Beschluss vom 01.02.2017 - XII ZB 71/16 (Rn 42 ff)
Zu den Voraussetzungen der Anfechtung einer Scheidungsfolgenvereinbarung wegen arglistiger Täuschung


(Zitat, Rn 43) "Das für eine Anfechtungsberechtigung nach §123 Abs.1 BGB erforderliche arglistige Handeln setzt voraus, dass der Täuschende durch sein Verhalten beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregen oder aufrechterhalten möchte. Der Täuschende muss mithin die Unrichtigkeit der falschen Angaben gekannt und gleichzeitig das Bewusstsein und den Willen gehabt haben, durch die irreführenden Angaben oder das Unterlassen der Aufklärung über die wahre Sachlage einen Irrtum zu erregen oder aufrechtzuerhalten und den Getäuschten damit zu einer Willenserklärung zu bewegen, die er sonst nicht oder mit anderem Inhalt abgegeben hätte. Dabei genügt bedingter Vorsatz (Senatsurteil vom 19.Mai 1999 -XII ZR 210/97 - FamRZ 2000, 153, 154f.). Bei bloßer Fahrlässigkeit des Erklärenden ist eine Anfechtung wegen Täuschung hingegen ausgeschlossen. Ging der Erklärende also fahrlässig davon aus, dass der Erklärungsempfänger von den nicht offenbarten Umständen ohnehin selbst Kenntnis habe, liegt eine vorsätzliche Täuschung nicht vor (MünchKomm BGB/ Armbrüster 7.Aufl. §123 Rn.16)."

Anmerkung: Ein Grund zur > Anfechtung kann bestehen, wenn eine zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses falsche Annahme über die Geschäftsgrundlage (Tatsachen, Motive) existiert. Der Vertrag (Einigung) basiert somit auf einer falschen, d.h. objektiv nicht vorhandenen Grundlage. Wenn einer der Beteiligten bei Abschluss der > Unterhaltsvereinbarung vorsätzlich falsche Angaben zu seinen unterhaltsrelevanten Umständen macht, kann ein darauf basierender Vertrag nach § > 123 BGB wegen arglistiger Täuschung angefochten werden. In solch einem Fall bedarf es keiner Abänderung des Unterhaltstitels. Der Unterhaltsvertrag gilt von Anfang als nichtig (§ > 142 Abs.1 BGB). Im Fall von betrügerischem Verhalten bei Vertragsabschluss kommt es weiter zu Schadensersatzansprüchen; Mehr dazu

> hier


Anfechtung
eines Prozessvergleichs

Beendigung
des Rechtsstreits


Wurde im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens ein Vergleich abgeschlossen, dann spricht man vom Verfahrens- oder Prozessvergleich. Solche Vergleiche beenden selbstverständlich das gerichtliche Verfahren. Kommt es zur Anfechtung eines Prozessvergleichs, ist nicht nur die Einigung inhaltlich hinfällig. Auch die verfahrensbeendende Wirkung entfällt. Das gerichtliche Verfahren lebt wieder auf.

Anfechtung
Aufleben des Ausgangsverfahrens


Sollte nachgewiesen werden, dass einer der Beteiligten eines Unterhaltsverfahrens einem Prozessvergleich zugestimmt hat, weil er über die wahren Einkommensverhältnisse des anderen Beteiligten arglistig getäuscht wurde, kommt die Anfechtung des Vergleichs in Betracht. Letzteres hat zur Folge, dass der Vergleich als von Anfang an unwirksam gilt. Über die Unwirksamkeit des Prozessvergleichs wird im Ausgangsverfahren entschieden. Der Beteiligte, der sich auf die Unwirksamkeit beruft, muss einen Antrag auf Anberaumung eines Termins verbunden mit dem ursprünglichen Sachantrag stellen. Dabei sind die Gründe, die für die wirksame Anfechtung sprechen, darzulegen. Das Gericht stellt fest, ob der Vergleich wirksam ist oder nicht, und führt gegebenenfalls das Verfahren erneut durch.

OLG Hamm, Beschluss vom 17.06.2016 - 3 UF 47/15
Anfechtung eines Prozessvergleichs wegen arglistiger Täuschung durch Unterlassen

Leitsätze:
1. Die sachrechtliche und prozessrechtliche Wirkung eines Prozessvergleichs tritt grundsätzlich nur dann ein, wenn er materiell-rechtlich und als Prozesshandlung ordnungsgemäß ist, sodass die erfolgreiche Anfechtung eines allein aus materiell-rechtlichen Gründen unwirksamen Prozessvergleichs gleichzeitig dazu führt, dass diesem auch seine prozessuale verfahrensbeendende Wirkung fehlt und der Rechtsstreit in demselben Verfahren fortzuführen ist.


2. Gem. § 123 Abs. 1 BGB hat ein Anfechtungsrecht, wer vom Prozessgegner oder einem in seinem Verhalten dem Prozessgegner gem. § 166 BGB zuzurechnenden Dritten durch arglistige Täuschung zum Abschluss eines Prozessvergleichs bestimmt worden ist, wobei die zumindest bedingten Vorsatz erfordernde Täuschung durch positives Tun oder Unterlassen begangen werden kann.

3. Bei Vertragsverhandlungen – auch bei prozessualen Vergleichsverhandlungen – besteht ausnahmsweise eine > ungefragte Aufklärungs- und Offenbarungspflicht gegenüber dem Vertragspartner über die ihm erkennbar nicht bekannten besonders wichtigen Tatsachen, die für dessen Willensbildung erkennbar von ausschlaggebender Bedeutung sind, weil sie den Vertragszweck vereiteln bzw. erheblich gefährden können oder geeignet sind, dem Vertragspartner erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen.

4. Demgegenüber hat ein reiner Rechtsirrtum der Parteien ohne jeden Irrtum über Tatsachen bzw. die mangelnde Aufklärung über einen solchen Rechtsirrtum nicht die Unwirksamkeit eines Vergleichs wegen Anfechtung nach § 119 BGB oder § 123 BGB zur Folge.

5. Gehen beide Ehegatten im Zugewinnausgleichsverfahren ursprünglich irrtümlich davon aus, dass eine von ihnen während der Ehe auf einem allein dem Antragsgegner gehörenden Erbbaugrundstück gemeinschaftlich errichtete Immobilie – über deren tatsächlichen Wert sie zudem streiten – in ihrem hälftigen Miteigentum stehe, besteht für den Antragsgegner, wenn er während des Verfahrens – ebenso wie sein Bevollmächtigter - Kenntnis von seinem tatsächlichen Alleineigentum an der Immobilie erlangt, eine > Aufklärungspflicht gegenüber der Antragstellerin über diese Tatsache.

6. Ein wirtschaftlich auf der unrichtigen Grundlage der jeweils hälftigen Bewertung der Immobilie im Endvermögen beider Beteiligten stehender Teilvergleich zum Zugewinnausgleich kann in diesem Falle von der Antragstellerin mit Erfolg wegen arglistiger Täuschung durch Unterlassen des sie in der mündlichen Verhandlung nicht aufklärenden Antragsgegners angefochten werden, soweit sich unter Anlegung der zutreffenden Eigentumsverhältnisse eine um ein mehrfaches höhere Zugewinnausgleichsforderung ergeben würde.

Loewe

OLG Hamm, Beschluss vom 17. Mai 2011, I-28 U 60/10

Anmerkung: Beruft sich ein Beteiligter nach Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs mit einem Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens auf eine im Wege der Irrtumsanfechtung rückwirkend herbeigeführte Nichtigkeit des Prozessvergleichs, hat das bisher mit der Sache befasste Gericht hierüber zu befinden. Wenn es die Nichtigkeit als gegeben ansieht, hat es in dem dann anhängig gebliebenen Rechtsstreit über die Berechtigung der ursprünglich geltend gemachten Ansprüche zu entscheiden (BGH, Urteil vom 3. Dezember 1980 - VIII ZR 274/79, BGHZ 79, 71, 79 f.). Ist der Vergleich hingegen wirksam, ist die Fortsetzung des Verfahrens hingegen zu versagen (BGH, Beschluss vom 18. September 1996 - VIII ZB 28/96, NJW 1996, 3345).

Loewe

OLG Koblenz, Urteil v. 25.3.2009 - 13 UF 623/08

Anmerkung: Wenn einer der Beteiligten über die unterhaltsrelevanten Umstände, also insbesondere, wenn der Unterhaltspflichtige zu seinen Einkommensverhältnissen vorsätzlich falsche Angaben macht und diese bewusst zu niedrig angibt, kann ein darauf basierender Vergleich nach § 123 BGB wegen arglistiger Täuschung angefochten werden. Das Unterhaltsverfahren, das mit dem gerichtlichen Vergleich abgeschlossen wurde, lebt wieder auf. Das ursprüngliche Unterhaltsverfahren wird in den Zustand zurückversetzt, der vor dem Vergleich bestand. Dieses wird nun fortgesetzt und auf Basis der richtigen unterhaltsrelevanten Umständen wieder neu verhandelt. Damit ist neben der Anfechtung ein Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens bei dem ursprünglichen Gericht zu stellen. Nach BGH kann aber ein neues Verfahren zulässig sein, wenn das ursprüngliche Verfahren rechtskräftig abgeschlossen wurde (so entgegen OLG Koblenz der BGH, Urteil v. 06.04.2011 - XII ZR 79/09).


Links & Literatur



Links



Literatur & Rechtsprechung



In eigener Sache


  • Anfechtung einer gerichtlich protokollierten Unterhaltsvereinbarung zum Trennungsunterhalt, unser Az.: 507/16