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verhaltensbedingte Verwirkung (> hier)
und die zeitbedingte Verwirkung. Letzteres kommt nach § 242 BGB in Betracht, wenn der Unterhaltsberechtigte sich bereits länger als ein Jahr passiv verhält und den Unterhaltsanspruch nicht (weiter) verfolgt (Zeitmoment) und der Schuldner aus weiteren Umständen (Umstandsmoment) schließen darf, dass die Unterhaltsforderung sich für ihn erledigt hat. Mehr dazu
> hier
Die Verwirkung führt dazu, dass der Unterhaltsanspruch ganz oder teilweise auf Dauer nicht mehr durchsetzbar ist. Fragen zur Durchsetzbarkeit bzw. > Begrenzung eines Unterhaltsanspruchs werden im Prüfungsschema auf der > fünften Prüfungsebene geklärt. Man spricht von Verwirkung im Zusammenhang mit zwei ganz unterschiedlichen Themen:
VERHALTENSBEDINGTE VERWIRKUNG
wegen illoyalem Verhalten des Unterhaltsberechtigten
ZEITBEDINGTE VERWIRKUNG
rückständigen Unterhalts wegen Zeitablauf
Die zeitbedingte Verwirkung ist ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) und setzt neben einem Zeit- auch einen Umstandsmoment voraus (> Mehr). Weil Letzteres vom Unterhaltsschuldner selten > nachgewiesen werden kann, scheitert in der Praxis der Einwand der zeitbedingten Verwirkung sehr häufig. Die zeitbedingte Verwirkung von Unterhaltsrückständen kann bereits weit vor der > Verjährung greifen.
OLG Brandenburg, Beschluss vom 29.04.2019 - 13 WF 91/19
Voraussetzungen der zeitbedingten Verwirkung
1. Das für die Verwirkung eines Unterhaltsanspruchs vorauszusetzende Zeitmoment erfordert eine Passivität des Unterhaltsgläubigers für mehr als ein Jahr (vgl. zuletzt > BGH NZFam 2018, 263). Hierbei stehen nicht nur eine Aufforderung zur Auskunftserteilung, eine Bezifferung des Unterhaltsanspruchs oder eine Zahlungsaufforderung einer Passivität entgegen, sondern auch Vorgänge, die zwar nicht unmittelbar der Durchsetzung des Anspruchs, aber ihrer Vorbereitung dienen, wie etwa das Einräumen von Stellungnahmefristen, die eine weitere Sachverhaltsaufklärung ermöglichen sollen (vgl. BGH NJW 2010, 714).
2. Das bloße Unterlassen der Geltendmachung des Unterhalts oder der Fortsetzung einer begonnenen Geltendmachung kann das Umstandsmoment der Verwirkung nicht begründen (vgl. BGH NZFam 2018, 263). Zur Annahme der Verwirkung muss für den Schuldner ein vom Gläubiger gesetzter besonderer Vertrauenstatbestand vorliegen, der vom Schuldner konkret darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen ist (BGH NZFam 2018, 263 mAnm Graba). Vertrauensbegründende Umstände können vorliegen bei einem konkreten Verhalten des Gläubigers, das Grund zu der Annahme geben kann, er werde seinen Unterhaltsanspruch nicht mehr geltend machen, insbesondere weil er seinen Rechtsstandpunkt aufgegeben habe.
Anmerkung: Die Entscheidung des OLG Brandenburg zur Verwirkung > rückständigen Unterhalts liegt auf der Linie des BGH. In zwei Entscheidungen aus 2018 hat sich der BGH (NJW 2018, 1013 und NJW-RR 2018, 579) beschäftigt. Die Entscheidungen enthalten ausführliche grundsätzliche Äußerungen zu den Voraussetzungen der Verwirkung und können im Bedarfsfall nachgeschlagen werden. Unterhaltsrückstände, die älter als ein Jahr sind (= Zeitmoment), können verwirkt sein, weil der Unterhaltsschuldner nicht (mehr) ernsthaft damit rechnen muss, auf Ausgleich von Unterhaltsrückständen in Anspruch genommen zu werden. Ein Recht ist verwirkt, wenn sich ein Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, und deswegen die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Dafür müssen ein Umstandsmoment und ein Zeitmoment sprechen. Verspricht die Vollstreckung eines titulierten Anspruches keinen Erfolg, weil der Schuldner über pfändbares Einkommen nicht verfügt, muss das Umstandsmoment und damit die Verwirkung regelmäßig verneint werden (OLG Brandenburg NJW 2013, 3188; vgl. auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 6.5.1998 – 17 UF 65/98). Vorsorglich sollte ein Gläubiger dennoch alle zwei Jahre vom Schuldner eine Vermögensauskunft nach § 802 c ZPO verlangen, um einem Verwirkungseinwand zu begegnen. Die Voraussetzungen für eine Verwirkung von Unterhaltsrückständen basiert auf § 242 BGB und der dazu entwickelten > Rechtsprechung.
Weiterführende Literatur:
» Duderstadt, Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nach Treu und Glauben, in: NZFam 2020, 462
Leitsatzentscheidung:
Ein nicht geltend gemachter Unterhaltsanspruch kann grundsätzlich schon vor Eintritt der Verjährung und auch während der Hemmung nach § 207 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB verwirkt sein (Fortführung von Senatsurteil BGHZ 103, 62 = FamRZ 1988, 370 und Senatsbeschluss vom 16. Juni 1999 XII ZA 3/99 FamRZ 1999, 1422).
Das bloße Unterlassen der Geltendmachung des Unterhalts oder der Fortsetzung einer begonnenen Geltendmachung kann das Umstandsmoment der Verwirkung nicht begründen (Anschluss an Senatsurteil vom 9. Oktober 2013 XII ZR 59/12 NJW-RR 2014, 195).
Anmerkung: Gerade mal eine Woche nach dieser Entscheidung wiederholt der BGH mit Beschluss vom 07.02.2018 - XII ZB 338/17 den zweiten Leitsatz noch einmal.
Anmerkung: Die Entscheidung des OLG Brandenburg folgt der aktuellen Linie des BGH. Danach reicht für eine zeitbedingte Verwirkung ein bloßes Unterlassen der Geltendmachung eines Anspruchs oder der Fortsetzung einer begonnenen Geltendmachung für sich genommen nicht. Es ist vielmehr ein auf dem Verhalten des Berechtigten beruhender Vertrauenstatbestand erforderlich. Hinzutreten muss ein Vertrauen begründendes Verhalten des Berechtigten, das dem Unterhaltspflichtigen Grund zu der Annahme gibt, der Unterhaltsberechtigte werde seinen Unterhaltsanspruch endgültig nicht mehr geltend machen, insbesondere weil er seinen Rechtsstandpunkt aufgegeben hat.
Weiterführende Links:
» zur rückwirkenden Erhöhung einer bereits - ursprünglich - bezifferten Unterhaltsforderung
(Zitat, Rn 9) "Da die oben dargelegte besondere Schutzbedürftigkeit des Antragstellers, die eine frühzeitige Verwirkung titulierter Forderungen herbeiführen kann, nicht vorliegt, ist die vom Antragsteller zitierte Rechtsprechung im vorliegenden Fall nicht anzuwenden. Vielmehr ist mit dem Bundesgerichtshof (NJW-RR 2014, 195) zu verlangen, dass über das reine Zeitmoment hinaus weitere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen. Das bloße Nichtstun begründet kein solches Vertrauen."
Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 25.11.2011 - 13 WF 129/11
Verwirkung von > Kindesunterhalt nach Jugendamtsurkunde
Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 07.03.2013 - 13 UF 66/12 (NJW-Spezial 2013, 356)
Keine Verwirkung wegen unterlassener Zwangsvollstreckungen bei Einkommen unter der Pfändungsfreigrenze.
Anmerkung: Für das Umstandsmoment für eine Verwirkung kann es im Einzelfall ausreichen, wenn der Unterhaltsberechtigte einen über einen bestimmten Zeitraum aufgelaufenen Unterhaltsrückstand nicht geltend macht, hingegen Rückstände aus anderen Zeiträumen durchgehend thematisiert. Das Jugendamt habe über einen Zeitraum von 2 ½ Jahre den Unterhaltsrückstand aus dem Jahr 2005 nicht geltend gemacht, so das Oberlandesgericht weiter. Zwar habe es nicht ausdrücklich auf die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs verzichtet. Das Jugendamt habe aber in der Zeit von 2005 bis Januar 2008 den Unterhaltsrückstand nicht thematisiert. Übt das Jugendamt die > Beistandschaft aus, muss sich das Kind dessen Verhalten in der Unterhaltsauseinandersetzung zurechnen lassen.
OLG Saabrücken, Beschluss vom 21.07.2014 - 9 WF 49/14
Verwirkung von Kindesunterhalt wegen Verschweigens der tatsächlichen Vaterschaft