Ein Gedankenmodell
zum Bedarf beim Ehegattenunterhalt

Der Bedarf eines Ehegatten an Unterhalt wird nach den ehelichen Lebensverhältnissen bemessen. Hierfür werden die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten in der Ehezeit betrachtet. In erster Linie wird auf das Einkommen der Ehegatten abgestellt.


Surrogat-Theorie
wenn sich wirtschaftliche Verhältnisse ändern



Neue Einkommensquellen nach der Trennung
:
Welchen Einfluss haben nun Einkommensveränderungen, die anlässlich der Trennung oder danach auftreten sind? Auch der zeitweilige Verzicht eines Ehegatten auf Erwerbstätigkeit, um die Haushaltsführung oder die Kindererziehung zu übernehmen, prägt die ehelichen Verhältnisse ebenso, wie die vorher ausgeübte und die danach wieder aufgenommene oder angestrebte Erwerbstätigkeit (BGH, FamRZ 2005, 1979). Nimmt der nicht erwerbstätige Ehegatte nach der Scheidung eine Erwerbstätigkeit auf oder erweitert er sie über den bisherigen Umfang hinaus, so kann sie als Surrogat für seine bisherige Familienarbeit angesehen werden; dieses (Einkommens-) Surrogat ist in die Differenzmethode zur Bedarfsermittlung einzubeziehen (BGH a.a.O.). Der Berücksichtigung im Wege der Differenzmethode steht auch nicht entgegen, dass der Unterhaltsberechtigte tatsächlich kein Einkommen bezieht und ihm ein solches - lediglich > fiktiv - zugerechnet wird (BGH a.a.O.). Denn auch das Einkommen, das der Unterhaltsberechtigte zu erzielen in der Lage ist, ist als Surrogat der Leistung anzusehen, die die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt hat (BGH a.a.0.).


Die Entwicklung der Surrogat-Theorie fand ihren Ausgangspunkt im Fall der erstmaligen Ausweitung oder Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nach der Trennung.



Erwerbstätigkeit
nach Haushaltsführung in der Ehe


Loewe
AG Mönchengladbach-Reydt, Hinweis-Beschluss vom 20.01.2016 - 24 F 215/15
Surrogat-Theorie - Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nach Haushaltsführung



BGH, Urteil vom 5. Mai 2004 - XII ZR 10/03
Bedarf & eheprägendes fiktives Einkommen


(Zitat) "Nimmt der haushaltsführende Ehegatte nach der Scheidung eine Erwerbstätigkeit auf oder erweitert er sie über den bisherigen Umfang hinaus, so kann sie als Surrogat für seine bisherige Familienarbeit angesehen werden, weil sich der Wert seiner Haushaltstätigkeit dann, von Ausnahmen einer ungewöhnlichen, vom Normalverlauf erheblich abweichenden Karriereentwicklung abgesehen, in dem daraus erzielten oder erzielbaren (fiktiven) Einkommen widerspiegelt. Wenn der unterhaltsberechtigte Ehegatte nach der Scheidung solche Einkünfte erzielt oder erzielen kann, die gleichsam als Surrogat des wirtschaftlichen Wertes seiner bisherigen Tätigkeit angesehen werden können, ist dieses Einkommen nach der Differenzmethode in die Unterhaltsberechnung einzubeziehen (...). Diese Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich gebilligt." (im Anschluss an die Senatsurteile vom 13. Juni 2001 - XII ZR 343/99 - FamRZ 2001, 105 und vom 5. September 2001 - XII ZR 336/99 - FamRZ 2001, 1693).

BGH, Urteil vom 13. Juni 2001 - XII ZR 343/99
Die Surrogat-Theorie bei Hausfrauenehe


War der bedürftige Ehegatte vor der Trennung nur für den Haushalt tätig, und erzielte kein Einkommen, so müsste grundsätzlich die Anrechnungsmethode gelten. Geht der bedürftige Ehegatte nach der Trennung einer Erwerbstätigkeit nach, so wird das dabei erzielte Einkommen als Surrogat der früheren Haushaltsführungstätigkeit gesehen (= Surrogat-Theorie). Aufgrund dieser Sichtweise gilt das Erwerbseinkommen nach der Trennung ausnahmsweise als eheprägendes Einkommen und wird bei der Prüfungsebene BEDARF in die Bedarfsrechnung einbezogen. Weiter wird der Unterhalt nicht durch Anrechnung des eigenen Einkommens ermittelt, sondern nach der Differenzmethode. Die Rechnung stellt sich wie folgt dar:

  • Einkommen M aus der Ehezeit: 1.000,- €
  • Einkommen F aus der Zeit nach der Trennung aus Berufstätigkeit: 500,- € (= Surrogat-Einkommen)
  • Differenz der Einkommen: 500,- € (= 1.000,- € - 500,- €)
  • Unterhaltsanspruch: 3/7 von 500,- € = 214,- €

Rechnet man dieses Beispiel nach der Anrechnungsmethode, würde sich folgendes Ergebnis ergeben:

  • Bedarf aus Einkommen vor der Trennung: 3/7 aus 1.000,- € = 429,- €
  • Volle Anrechnung des Einkommens der bedürftigen Ehegatten: 500,- €

Unterhaltsanspruch: 0,- €. Die Surrogats-Theorie will dieses Ergebnis für "Hausfrauen-Ehen" vermeiden. Das entspricht ständiger Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 13. Juni 2001 - XII ZR 343/99)

Haushaltsführung
für Dritte



BGH, Urteil vom 5. Mai 2004 - XII ZR 10/03
Bedarf & Bedürftigkeit des Ehegatten bei Haushaltsführung für Dritten


"Der Wert der Versorgungsleistungen, die ein unterhaltsberechtigter Ehegatte während der Trennungszeit für einen neuen Lebenspartner erbringt, tritt als Surrogat an die Stelle einer Haushaltsführung während der Ehezeit und ist deswegen im Wege der Differenzmethode in die Berechnung des Trennungsunterhalts einzubeziehen (im Anschluß an die Senatsurteile vom 13. Juni 2001 - XII ZR 343/99 - FamRZ 2001, 105 und vom 5. September 2001 - XII ZR 336/99 - FamRZ 2001, 1693)."


Surrogat-Theorie
und Wohnvorteil


BGH, Beschluss v. 09.04.2014 - XII ZB 721/12
Surrogat-Theorie bei Erwerb des ehemaligen Familienheims vom Ehegatten zum Alleineigentum

Hierfür hat der BGH folgende Grundsätze aufgestellt:

  • Erwirbt der die frühere Wohnung nutzende Ehegatte von dem aus der Wohnung ausgezogenen Ehegatten dessen Eigentumsanteil, so bleibt es bei der unterhaltsrechtlichen Zurechnung des vollen > Wohnvorteils beim erwerbenden Ehegatten.
  • Veräußert ein Ehegatte seinen Miteigentumsanteil an der ehemaligen Ehewohnung, so tritt an die Stelle seines früheren Nutzungsvorteils als Surrogat der Zins aus dem Erlös, den er aus dem Verkaufserlös zieht.
  • Erwirbt der veräußernde Ehegatte mithilfe des Erlöses eine neue Wohnung, so tritt der Nutzungsvorteil der neuen Wohnung als Surrogat an die Stelle des Zinserlöses.

Im Ergebnis erhöht sich das unterhaltsrelevante Einkommen des in der Wohnung verbliebenen Ehepartners auf den vollen objektiven Mietwert des ehemaligen Familienheims, abzüglich der Zinsaufwendungen aus hierfür aufgenommenen Darlehen sowie abzüglich der > Tilgungsaufwendungen. Das Gleiche gilt im umgekehrten Sinne für den Ehepartner, der mit Hilfe des Verkaufserlöses aus seinem Miteigentumsanteil eine neue Wohnung erworben hat.


Links & Literatur



Literatur


  • Armin Bendlin zu BGH, Beschluss vom 07.05.2014 – XII ZB 258/13: Neue Entscheidung des BGH zur Berechnung von Ehegatten- und nachehelichem Unterhalt bei Wiederheirat, Kommentar

In eigener Sache


  • Ehegattenunterhalt & nacheheliche Einkommensentwicklung - Surrogat-Theorie: unser Az.: 215/15 (D3/D1032- 15)